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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1913)
DOI Artikel:
Jaskowski, Friedrich: Der Mensch und der Alkohol
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0321

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der höheren Entwrcklung, indern durch ihn, als ein Greifbares, Popu--
läres, der Statistik und dem wissenschaftlichen Versuch Zugängliches,
Tausende von Menschen zur Mitarbeit an Menschheitsfragen kommen,
die für allgemein begründeten Idealismus keinen Finger krümmen
würden. Der ganze Kampf gegen den Alkohol ist eine Art gesellschaft-
liche Teufelaustreibung, aber dieser Teufel ist sichtbar, greifbar, nicht
bloß Dogma. Wie der katholische Kultus den Glauben an den Gott
in der Hostie sordert, so der abstinente — ja, man könnte fast sagen:
Kultus die Anerkennung seines Teufels im Alkohol.

Genau zugesehen, liegen die Dinge doch nicht ganz so einfach, wie
sie die meisten Prediger gegen das Volksgift meinen. Sie sagen: im
Iahre G08 allein sind in Preußen j007 Männer und j50 Frauen
an Säuferwahnsinn gestorben. Gäbe es keinen Alkohol, was wäre
dann die Todesursache dieser Leute gewesen? Dieser Leute: wahr-
scheinlich geschlechtliche Ausschweifung oder Selbstmord oder Nikotin--
vergistung oder Fettleibigkeit oder Geistesumnachtung. Manche hätten
im Gefängnis geendet. Von diesen Leuten wären wohl nur wenige
tüchtige Menschen geworden oder — geblieben. Denn freilich: der
Alkohol ist bei moralischen Weichtieren (und was ist seltener als Cha--
rakter?) eine ganz besondere Gefahr, schlimmer als die meisten
oder als alle verwandten Versuchungen; dem größten Willensschwach--
matikus verhilft er, ohne nur die geringste Anstrengung zu verlangen,
zum Genuß: der Geschmack des Getränkes ist schon Genuß und ist
doch erst das Mittel zu dem Hauptgenuß der Anheiterung und des
Rausches. Der Alkohol ist nicht bloß etwas Außeres, ein neutrales
Naturding, sondern wirklich, bei recht ruhiger, sachlicher Beobach--
tung, eine Art ämbolus. Nnd das ist er infolge des sonderbaren
Zusammenstimmens seiner Wirkungen mit der Natur des Menschen,
besonders mit dem chaotischen Wunsch des moralischen Weichtiers.
Aller vollkommen zureichende Ausdruck, alle Antwort auf das Ver--
borgene und irgendwie heimlich Gesuchte hat eine gewisse Magie,
eine hypnotische und suggestiv begeisternde Kraft. Das beweisen also
Dichtnng, Kunst und religiöser Kult nicht bloß, sondern eben auch der
Alkohol, durch den eine gewisse Menschenart sich im Tiefsten ver-
standen und befriedigt fühlt, warum er ja von seinen Iüngern verehrt
wird oft glühender als eine Braut oder ein „Ideal" und oft durch--
aus nicht ohne Poesie.

Darum, wegen der tieferen Zusammenhänge, soll hier nicht das
tugendsame Philisterium billige Reden schwingen, sondern mensch--
liche Erzieher sollen sprechen, die die Macht des Bösen, die Macht der
„unglückseligen Sterne" kennen, die es als Erfahrung gegenwärtig
haben: „uns bleibt ein Erdenrest zu tragen peinlich^, die aber ebenso
auch die Macht des Geistes und Willens und der Abung und der
guten Amgebung kennen. Keine Symptomschneider (die in der Regel
nur unterdrücken oder die Form des Ausbruches des Abeln ver--
ändern), sondern Menschen unter Menschen, die das Ganze sehen,
an die vorhandenen Kräfte nnd Gegebenheiten liebend, vertrauend
anknüpfen und von dort aus weitersühren. Solche Menschen tun
not, bejahend wirkende; „indem wir tun, lassen wir".

Hier liegt ein Wichtiges sür die Arbeit am Volk. Iener fran--

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