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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

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Heft 24 (2. Septemberheft 1913)
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Avenarius, Ferdinand: Wieder daheim
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Schumann, Wolfgang: Briefe
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0517

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Iahrzehnten noch als altrnodisch belächelte, sind heute Gefühle der
Modernsten. Und die Meinung gehört dazu: daß die heutige
Großstadt aus Kasten und Lasten, aus Gestängen und Gedrän-
gen der Menschheit unwürdig, daß sie als Kulturwerk —
veraltet ist. Gerade das Moderne, das Zeitalter des Ver--
kehrs beginnt die Großstadt zu entdichten und wird sie lösen.
Es sind, in unserm Sinn, Gedanken nicht der Großstadt, sondern
des „Landes", welche die Zukunst haben, es sind Gedanken des „Alten",
die das Neue, es sind Gedanken des Bleibenden, die das Auf-
dringliche aber Flüchtige verdrängen, das den Modeleuten als nrodern
erscheint. Neue Formen der Siedelung bereiten sich vor, die Freude-
und damit die Kraftgeberin Schönheit beginnt mitzusprechen unter
den „Interessen", und so sehr ist das Sehnen nach der Landschaft an-
gewachsen, so sehr wächst es weiter, daß es vom Wunsche zur Forde-
rung wird. Es ist nicht „sentimental" mehr, es wird „real«. Da geht's
wie in der physikalischen Welt: kommt erst Bewegen in die Weltkörper,
so erwacht nach der zentripetalen Kraft die zentrifugale. Das Be-
wegen in dieser andern Welt i st erwacht. Kommende Iahrzehnte wer-
den nach dem Zusammenpferchen das Loslöfen, werden die große
Dezentralisation erleben. Und damit werden die alten guten Kräfte
sich den modernen guten Kräften organisch verbinden.

Als ich ein Knabe war, gab es für mich einen Augenblick, vor
dem ich mich so fürchtete, daß mir der Gedanke daran die Ferienreise
verderben konnte: das erste Auftauchen der Vorstadtstraßen Berlins
bei der Heimkehr. Ich sah sie immer wie lange Reihen gefletschter
Zähne, die leeren Baustellen als greuliche Lücken dazwischen, und mir
schien, fie höhnten mich an: Nun bekommen wir dich wieder, nun
lassen wir dich ein Iahr nicht mehr. Wie vielen Großstadtjungen mag
es gegangen sein nnd noch gehn, wie damals mir! Nnsre Kindes-
kinder werden es besser haben. 7lns Altern aber macht doch wohl ge-
rade das die tzeimkehr leicht, daß wir jetzt wissen: dafür zu arbeiten,
zeigen sich uns nun Wege. A


Briefe

n Artur Schnitzlers Novelle „Frau Beate und ihr Sohn" äußert
^t^eine Dame, sie lese überhaupt nur mehr Lebenserinnerungen und
^FBriefe großer Männer; an Romanen und dergleichen fände sie kein
Gefallen mehr. Es stellt sich dann weiter heraus, daß es den übrigen
Anwesenden ebenso ergeht. Diese Beobachtung werden in unserer Zeit
Viele bestätigen, und mancher wird daraus auf „Romane und dergleichen",
wie sie so viel erscheinen, unliebsame Schlüsse ziehen. Dies jedenfalls
steht fest: die Veröffentlichung von Selbstzeugnissen aller Art ist zum
stehenden Gebrauch geworden, nicht nur die wissenschaftlichen Herausgeber,
Bearbeiter, Auswähler befürworten sie, sondern auch die Teilnahme der
Gebildeten trägt diese junge Art der Büchervermehrung; es hilft gar nichts
mehr, den pshchologischen Gewinn der größeren Leserschaft aus solchen
Veröffentlichungen geringzuschätzen, es hilft nichts mehr, die Indiskretio-
nen darin oder die vermutlichen Folgen der neuen Sitte für die Brief-
schreiberei von heute zu beklagen, das Recht der Sffentlichkeit auf jene


Kunstwart XXVI, 2H
 
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