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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

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Heft 20 (2. Juliheft 1913)
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Avenarius, Ferdinand: Werning contra Hauptmann?
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Avenarius, Ferdinand: Rosegger: zu seinem siebzigsten Geburtstage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0137

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unzuverlässig" „suspekt" machen würden. Wir sind auf dem Wege,
Schematiker des Patriotismus zu werden. Wir haben ihn
mit Parteiprogrammen in der Tasche; was dazu „stimmt", dem rufen
wir bravo zu, was nicht dazu paßt, das sind wir Äarren genug, „ab-
lehnen" zu wollen, als säßen wir in den Köpfen und Herzen der
andern drin. Werden wir nicht freier, so sagt man 20s3: die
wollten damals unsre heiligen Worte zu Pfiffen und Signalen für die
Massen machen.

Greifen wir zurück. Hauptmanns Werk war ganz gewiß nicht das
allgemeine Festspiel für alle Schichten, das man in Breslau brauchte,
es ist auch nicht das Volksfestspiel dieses Erinnerungsjahres überhaupt.
Aber die denken wie ich, bedauern tief die Behandlung, die man ihm
und dadurch seinem Dichter widerfahren ließ und legen Gewicht
darauf, das erndeutig zu bekennen, weil sie sich national bis in
den letzten Gedanken wissen. Mit mehr als Bedauern aber, mit
Scham empfinden wir als Deutsche: daß man dieses Stück nicht
nur als Volksspiel ablehnte, daß man nicht nur seine künstlerischen
Mängel besprach und übertrieb, sondern daß man seine Gesin--
nung ihm zum Verbrechen machte. So beraubte man sich und sein
Gefolge durch das einfache Mittel der Gegensuggestion der naiven
Empfänglichkeit auch für das Lchte, Großgesehene und im allereigent-
lichsten Sinn Deutsche darin. Äber die Bühnen wird tzauptmanns
Stück nun leider nur in Reinhardtscher Vertheaterung gehn. Immer-
hin, schaden kann es auch da keinem, der vom Kunstwerk nicht Echo,
sondern Einsprache, Hineinsprache in sein Ich zur Anregung selbst-
tätiger Innenarbeit will. A

Nosegger

Zu seinem siebzigsten Geburtstage

s ist sehr lange her, daß ich Rosegger zum ersten Male sah.
Ein Vereinssaal, und auf dem Pulte der schmächtige Mann,
von dem man ungefähr so sprach, wie von einem musikalischen
Wunderkinde. „Der kleine Bauernschneider, Sie wissen doch?, den
sie in Graz entdeckt haben und der nun so nette Geschichten schreibt.
Na ja, man wird ihm wohl dabei geholfen haben, aber immerhin,
viel — nicht? Und zu komisch ist er." Er las auch nur Komisches.
Schlicht, beteiligt erzählend, gut, aber nur Komisches. Er tat's,
weil's die Leute nicht anders wollten. Die lachten und klatschten.
„Zu nett", dieser unbeholfene kleine Schneider, von dem man gleich-
zeitig denken durfte und sich zu sagen erlaubte: „nein, wie talent-
voll" und: „aber natürlich: die Bildung, die haben wir voraus".
Ich konnte diese Art Wohlwollen schlecht vertragen und bin deshalb
nur in wenigen seiner Vorlesungen gewesen. Rosegger hat das öffent-
liche Vorlesen sofort aufgegeben, als er das konnte. Im Herzen des
deutschen Vereinsbürgers aber lebte er lange nur als „Humorist",
wie er, der Vereinsbürger, das Wort versteht, und viele von ihnen
sehen ihn heute noch vor allem als Spaßmacher.

Andere betrachteten Rosegger als einen von denen, die man im
Kreise des alten Literatur-Obersten von Reder in München „die

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