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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1913)
DOI Artikel:
Wantoch, Hans: "Anekdoten-Malerei"
DOI Artikel:
Salomon, Alice: Soziale Settlements
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0540

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gerade der gegenwärtige Augenblick fordert die Ausschaltung des
falschen Maßftabes aus dem Verkehr der Meinungen. Aberall zeigen
fich Anfätze, die einen neuen Beginn der Monumentalkunst verkün-
den. Nach der Darstellung der flüchtigften Augenblicksregung wendet
sich die Sehnsucht der Stilkunft zu. An die Stelle der restlosen im-
presfionistischen Wiedergabe räumlicher Phänomene will die orna-
mentale Schmückung treten. Und vielleicht wird das Historienbild
in dieser Bewegung zum Monumentalen eine neue Größe erleben.
Dem psychologischen Moment des Abwechslungsbedürsnisses, dem
kunstökonomischen Motiv der Stofferschöpfung gesellt sich die rein
merkantile Nötigung, vom Alltäglichen zum Aberalltäglichen zurück-
zukehren: denn die Photographie konkurriert immer wirksamer mit dem
Bildnis, die Ansichtskarten mit der Vedute. Die naturalistische Dok-
trin hatte das Historienbild verpönt, denn die programmatische Absicht
war auf die Nachbildung des Gegenwartlebens gerichtet. Allein seit
den Tagen, da zum ersten Male die Schilderung des Gegenwart-
daseins gefordert wurde, seit den Tagen des jungen Deutschlands
blieb die Verwechslung der Begriffe Gegenwartsgesühl und Gegenwarts«
kostüm. Das neuzeitliche Bewußtsein klingt uns aber aus dem Leben
Friedrich Hebbels sicherlich stärker wieder als aus dem verschollenen
Dasein irgendeines Gebirgsbauern oder großstädtischen Spießers. In
die elastische Spannweite eines uralten Mythus schmiegt sich das
Gegenwartsgefühl eines Dichters oft leichter als in die Engbegrenzt-
heit einer Tagesaktualität. Und warum sollte der Blick des Malers
nicht in manchen Bewegungen der Vergangenheit die Gebärde unsrer
Zeit erkennen? Nur daß er sie mit dem Auge unsrer Zeit sehen muß,
das die Farbe anders empfindet als der Mensch der Renaissance
oder der Aufseher einer Galerie, welcher die Nachdunkelung der Iahre
für ursprüngliche Erscheinung hält. Der verpönte Sujetreiz wird in
diesen Bildern wieder aufleben, wie er ja schließlich zu allen Zeiten
in den Werken der Karikatur gewesen ist. Der novellistische Vorwurs
wird zum Kunstwerk, wenn ohne Krücke des Titels, ohne Umweg über
verstandesmäßige „Erinnerung^ Farben und Formen unmittelbar aus
den Beschauer wirken. Hans Wantoch

A

Soziale SeLtlements

m lieben zu können, müssen wir die Menschen kennen, die wir lieben
sollen." Dieser Ausspruch des ehemaligen Leiters von Tohnbee-
Hall, dem ersten und bedeutendsten Settlement Englands, enthält
in wenigen Worten die ganze Begründung der Settlement-Bewegung, die
in den angelsächsischen Ländern unter den Bestrebungen zur Aberwindung
sozialer Klassengegensätze einen so hervorragenden Platz einnimmt. Es
war der Gedanke Arnold Tohnbees und anderer junger Gelehrter
und Studenten, die unter dem Linfluß der von Oxsord ausgehenden
christlich-sozialen Bewegung standen, daß die gebildeten Schichten nur
dann ihre Pflichten gegen die Besitzlosen erfüllen könnten, wenn sie deren
Leben, deren Bedürfnisse, Gewohnheiten und Schicksale wirklich kennen
lernen. Man muß sich zu ihnen gssellen, man muß mit ihnen zusam-
menkommen — nicht für kurze Augenblicke und Stunden; sondern man

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