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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

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Heft 21 (1. Augustheft 1913)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0268

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Im Nu war alles auf den Beinen; die Offiziere schnallten ihre Gürtel
um, und wir knöpften unsere Regenmäntel zu.

Da entnahm der blaubebrillte Dicke seinem Beutel ein gelbliches Pa-
piersäckchen, während er schalkhaft nach uns herüberblinzelte. Dann zog
er einen Filter und schließlich eine Kasfeekanne hervor.

„Ich werde Ihnen Kaffee kochen," sagte er; „Gretchen, meine Nichte,
hat mir das Rezept anvertraut. Und in ganz Kassel gibt's niemanden,
der ihn so gut zuzubereiten versteht, wie Klein-Gretchen."

Der Dicke goß ein paar Tropfen Weingeist in ein Kochgeschirr, zün-
dete ihn an und stellte einen zweiten Napf mit Wasser aus; dann goß
er langsam das kochende Wasser über den Filter und lauschte mit dem
Ohr an der Kanne dem Nieseln der Tröpfchen. Nachdem wir jeder ein
Täßchen des Gebräus, das gar nicht übel mundete, getrunken hatten,
schüttelten uns unsere Wirte herzhast die Hand und wünschten uns glück-
liche Reise.

Wir gingen nach Sedan.

Vom tzeute fürs Morgen

Abgehetzt?

/-?>er gemeinste aller Gemeinplätze
«^gehört der „abgehetzten" Mensch-
heit. Niemand zweifelt an seiner
Gültigkeit: Die Menschheit hat die
Sammlung verlernt und kann
deshalb Kunst in reiner Form
nicht mehr genießen; dafür bedarf
sie der Sensationen, Ausreizungen,
die ihr nach des Tages Hast und
Last den Kitzel des ruhigen Wohl-
behagens darbieten. Es scheint
aber einmal an der Zeit zu sein,
den Gemeinplatz zu prüfen. Be-
deutet er doch nicht vielleicht nur
eine bequeme Entschuldigung für
Triebe, deren sich der Kulturmensch
schämen sollte? Ist es denkbar,
daß reichere Kenntnisse im Berufe
und humanere Ansichten auf sozia-
lem Gebiete unserm sittlichen Re-
gulator schaden, wo wir der Lages-
arbeit das abendliche Vergnügen
gegenüberstellen? Oder sind die
Kenntnisse und die Humanität
löcherig? Ich bin, wenn ich eine
sogenannte Großstadtnacht durchge-
bummelt hatte, stets mit dem Ge-
fühle des Ekels zu Bett gegangen

und habe mich außerdem über den
versäumten Schlaf geärgert. And
warum, wenn die Menschheit wirk-
lich vom Lage abgehetzt ist, spart
sie nicht wenigstens die Nacht der
Ruhe auf? Die Spannung bedarf
der Lösung, schön; aber welcher Art
die Lösung ist, das bestimmt der
Mensch in voller Freiheit. Er hat
es in der Hand, nach rechts oder
links zu gehen, zu den Schafen
oder zu den Vöcken. Deshalb weg
mit den Entschuldigungen für
schamlos vertändelte Stunden! In
unsrer Zeit der Arbeitsteilung, der
englischen Tischstunde und des elek-
trischen Dreiminutenverkehrs bleibt
Raum genug für gute Dichtung
und gute Musik, für eine ernste
Zeitschrift und für einen Museums-
besuch. Die innere Sammlung,
die zu ruhigem Genießen nötig ist,
hängt meist vom Willen ab. Er
kann Zeit und Angestörtheit
schafsen.

Aber freilich, ich habe dabei das
Schwatz- und Arteilsbedürsnis der
Menschen nicht in Rechnung ge-
stellt. Sie hätten vielleicht noch

b Augustheft W3
 
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