die Kraft, sich edleren Vergnügun-
gen hinzugeben, wenn sich darüber
init leichter Zunge reden ließe.
And reden nruß man doch — und
zwar sofort — über das, was man
sieht und hört, sonst gilt man für
kritiklos. Da ist es nun eine
Wonne, dem geistvollen Referenten
der Tageszeitung mit dem Tadel
zuvorzukommen. Er schreibt mor--
gen, das Publikum schwatzt bereits
heute beim Abendessen darüber.
Und man hat dem Referenten abge-
merkt, worauf es ankommt. Nie--
mals die Vorstellung, das Konzert,
den Vortrag als Ganzes nehmen,
sondern je nach der Börsenstellung
des künstlerischen oder wissenschaft--
lichen Unternehmers einen Auftritt,
einen Ausruf, ein Kostüm, eine
Beleuchtung, eine Geste, ein Lempo,
eine Pause zu ewigem Ruhme oder
zu unsühnbarem Verbrechen aus--
legen. Was Wunder, daß die Unter--
nehmer bei der Aufstellung ihrer
Programme immer nach dem Salto-
mortale suchen und ihm die höchsten
Werke unterordnen! Sie wissen, daß
es viel unbequemer ist, über Shake-
speres Hamlet-Werk zu schreiben
und zu sprechen als über den Königs--
saal der Hamletaufführung, wenn
er aus einer schmutziggrauen Mand
und drei schwarzen Lürlöchern be-
steht, unbequemer als über den
Kirchhof des 5. Aktes, wenn er zur
Abwechslung gar kein Grab aufweist.
Oder sie lassen den Hamlet von
einem Schauspieler darstellen, der
für den Claudius geeignet ist. Das
gibt ganze Feuilletons, lange
Nachtgespräche und Cafehausnach-
mittage. Die besten Operetten, an
deren prickelnder Musik man sich
lässig vergnügen könnte, werden
plötzlich auf den borniertesten
Clowndialog gestellt und dem Ka«
pellmeister aus den Händen ge«
rungen: Stoff zu gesprochenen und
gedruckten Glossen im Abermaß!
Ich frage, woher nimmt die „ab-
gehetzte" Menschheit die Zeit zu
solchen überflüssigen Dingen? Die
Ruhe, die sie durch Schweigsam-
keit und Zeitungsentwöhnung ge-
wänne, würde hinreichen, um ein
ganzes Kunstwerk zu genießen
und zu würdigen. Dazu ist nicht
einmal immer die Unruhe eines
Theaterbesuches vonnöten; denn
wenn man Hebbels Ghges mit
Andacht liest und Mozarts Don
Iuan daheim auf dem Klavier
durchspielt, nimmt man die dra-
matischen Schöpfungen vielleicht
reiner und mit stärkerer Erschütte-
rung auf als im Parkett, zwi-
schen gleichgültigen Abonnenten
und vor einer schlechten oder ein-
seitigen Inszenierung.
Ferdinand Gregori
Mein Stil
ch hatte eine Novelle geschrieben,
die fing so an:
„Abend war es."
And dann ging es weiter. Der
Inhalt tut hier nichts zur Sache.
Vom Stil will ich hier erzählen.
Und für diesen ist ein Satz ge-
nügend. Sagt Goethe.
Wie? Natürlich Goethe. Wer
denn sonst? Ich berufe mich immer
nur auf Goethe. Alle tun das, es
ist Mode jetzt. And völlig ungefähr-
lich. Denn beweisen Sie einmal,
daß Goethe irgend etwas nicht ge-
sagt hat, bitte.
Also, es bleibt dabei: Ein Satz
genügt zum Arteil über einen Stil.
Nun gar schon dieser Satz: „Abend
war es."
Ich sandte diesen Satz an meinen
Mitschriftsteller Bitterlich und bat
ihn um sein Arteil:
„Ganz nett so weit," schrieb Bit-
terlich zurück, „jedoch Ihr Stil ist
noch verkehrt, verehrter Herr Kol-
lege. Auf den Kopf gestellt, ergäbe
sich: »Es war Abend.« So muß es
2j2 Kunstwart XXVI, 2s
gen hinzugeben, wenn sich darüber
init leichter Zunge reden ließe.
And reden nruß man doch — und
zwar sofort — über das, was man
sieht und hört, sonst gilt man für
kritiklos. Da ist es nun eine
Wonne, dem geistvollen Referenten
der Tageszeitung mit dem Tadel
zuvorzukommen. Er schreibt mor--
gen, das Publikum schwatzt bereits
heute beim Abendessen darüber.
Und man hat dem Referenten abge-
merkt, worauf es ankommt. Nie--
mals die Vorstellung, das Konzert,
den Vortrag als Ganzes nehmen,
sondern je nach der Börsenstellung
des künstlerischen oder wissenschaft--
lichen Unternehmers einen Auftritt,
einen Ausruf, ein Kostüm, eine
Beleuchtung, eine Geste, ein Lempo,
eine Pause zu ewigem Ruhme oder
zu unsühnbarem Verbrechen aus--
legen. Was Wunder, daß die Unter--
nehmer bei der Aufstellung ihrer
Programme immer nach dem Salto-
mortale suchen und ihm die höchsten
Werke unterordnen! Sie wissen, daß
es viel unbequemer ist, über Shake-
speres Hamlet-Werk zu schreiben
und zu sprechen als über den Königs--
saal der Hamletaufführung, wenn
er aus einer schmutziggrauen Mand
und drei schwarzen Lürlöchern be-
steht, unbequemer als über den
Kirchhof des 5. Aktes, wenn er zur
Abwechslung gar kein Grab aufweist.
Oder sie lassen den Hamlet von
einem Schauspieler darstellen, der
für den Claudius geeignet ist. Das
gibt ganze Feuilletons, lange
Nachtgespräche und Cafehausnach-
mittage. Die besten Operetten, an
deren prickelnder Musik man sich
lässig vergnügen könnte, werden
plötzlich auf den borniertesten
Clowndialog gestellt und dem Ka«
pellmeister aus den Händen ge«
rungen: Stoff zu gesprochenen und
gedruckten Glossen im Abermaß!
Ich frage, woher nimmt die „ab-
gehetzte" Menschheit die Zeit zu
solchen überflüssigen Dingen? Die
Ruhe, die sie durch Schweigsam-
keit und Zeitungsentwöhnung ge-
wänne, würde hinreichen, um ein
ganzes Kunstwerk zu genießen
und zu würdigen. Dazu ist nicht
einmal immer die Unruhe eines
Theaterbesuches vonnöten; denn
wenn man Hebbels Ghges mit
Andacht liest und Mozarts Don
Iuan daheim auf dem Klavier
durchspielt, nimmt man die dra-
matischen Schöpfungen vielleicht
reiner und mit stärkerer Erschütte-
rung auf als im Parkett, zwi-
schen gleichgültigen Abonnenten
und vor einer schlechten oder ein-
seitigen Inszenierung.
Ferdinand Gregori
Mein Stil
ch hatte eine Novelle geschrieben,
die fing so an:
„Abend war es."
And dann ging es weiter. Der
Inhalt tut hier nichts zur Sache.
Vom Stil will ich hier erzählen.
Und für diesen ist ein Satz ge-
nügend. Sagt Goethe.
Wie? Natürlich Goethe. Wer
denn sonst? Ich berufe mich immer
nur auf Goethe. Alle tun das, es
ist Mode jetzt. And völlig ungefähr-
lich. Denn beweisen Sie einmal,
daß Goethe irgend etwas nicht ge-
sagt hat, bitte.
Also, es bleibt dabei: Ein Satz
genügt zum Arteil über einen Stil.
Nun gar schon dieser Satz: „Abend
war es."
Ich sandte diesen Satz an meinen
Mitschriftsteller Bitterlich und bat
ihn um sein Arteil:
„Ganz nett so weit," schrieb Bit-
terlich zurück, „jedoch Ihr Stil ist
noch verkehrt, verehrter Herr Kol-
lege. Auf den Kopf gestellt, ergäbe
sich: »Es war Abend.« So muß es
2j2 Kunstwart XXVI, 2s