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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

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Heft 20 (2. Juliheft 1913)
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Avenarius, Ferdinand: Werning contra Hauptmann?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0131

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j Iahrg.26 Zweites Iuliheft 1913 tzeft20

Werning eontra Hauptmann?

as Bekenntnis meiner Meinung vorweg, ich glaube: daß Haupt«

manns Festspiel als einziges Festspiel der Breslauer Fahr--

hundertfeier nicht am Orte war, ich halte trotzdem die Unter-
drückung seiner letzten Aufführungen für einen außerordentlich schweren
Fehler, und schließlich: ich meine, daß es hoch an der Zeit ist, bei
unserm öffentlichen Berhalten gegenüber aller „Richtungs"-Poesie
gewisse einfache Wahrheiten zu bedenken, zu denen jeder sagt: „selbst--
verständlich!^, und die doch Tausende in den Wind schlagen.

Gerhart Hauptmanns „Festspiel" ist trotz all seiner Mängel meinem
Wissen und Urteil nach* das beste Festspiel vaterländischen Gehalts
unsrer modernen Dichtung, und wahrscheinlich der deutschen Dichtung
überhaupt. Wer ein besseres weiß, bitte: er nenn es. Ich bin nur
immer Verstummen auf solche Frage begegnet, es werden nicht einmal
diese und jene genannt, es ist einfach nichts da, was an Gedanken«
gehalt und phantasiemäßiger Gestaltung mit dem Hauptmannschen
„Festspiel" auch nur in Vergleich treten könnte. Wer ihm eine Ver--
herrlichung Napoleons vorwirft, muß es mit vorgefaßter Meinung
gelesen haben, wer sagt: es fehlt ihm an vaterländischer Gesinnung,
versteht unter solcher nur seine Art und läßt keine andre gelten. Aber
die Art vaterländischer Gesinnung, die für ein einziges Festspiel
bei der Breslauer Ausstellung in Frage kam, das sei zugegeben:
die spricht Hier nicht. Festspielkunst ist angewandte Kunst, sie läßt
sich nichr ohne Zufammenhang mit den Hörern bilden, der Poet
muß ihr Sprecher sein, muß reden aus einer gemeinsamen 'Auf--
fassung der Dinge Heraus mit dem Kreise, zu dem er spricht, aus
der Massenpsyche durch seine Einzelseele wieder in die Massenseele
hinein. Wenn man nur ein Festspiel für Breslau wollte, so brauchte
man eines, das Männer und Frauen aufnehmen konnten, welche
die Erhebung von so fühlten, wie man sie in den preußischen
Schulen zu lehren Pflegt, und ein Festspiel für Konservative wie Fort-
schrittler, Protestanten und Katholiken. Besser wäre es gewesen, man
hätte mehrere gehabt, die abwechseln konnten, aber man bekam ja
schon das eine kaum. Unwürdig jedoch wäre auch die Aufgabe des
allgemeinen, des eigentlichen Volksspiels wahrhaftig nicht. Die Hörer
ins Miterleben dieser Erinnerungen Hineinzuversetzen, an deren
entstelltem Bericht schon sie sich begeisterten, in die Zeit, da
man Gold für Eisen und Blut für Ideen gab, diese Zeit dann
aus tieferem Lrfassen als dem der Geschichtsklitterei so körperhaft
und fo überzeugend darzustellen, daß man durch Auge und Ohr
mit der ganzen Seele dabei war, nun erfühlen zu lassen, wieviel ge--
waltiger die Wahrheit war, als die geschminkten Bilder — das war
eine Aufgabe für einen Starken. Es galt, den Hörer während des

* Die Besprechung im vorigen Hefte hat nicht mich, sondern Wolfgang
Schumann zum Verfasser.

^ 2. Iuliheft GlS 89 ^
 
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