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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

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Heft 23 (1. Septemberheft 1923)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0465

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seiner Diener. Ob er Kinder habe? fragte er ihn; so solle er das Kind
sorgfältig zu sich aufs Pferd nehmen und bis zunr Liebfrauenkloster tragen.
Es sollten auch alle Kinder, befahl er, die elternlos weinend gefunden
würden, nicht, beiseitegelassen, sondern mitgenommen werden, denn er
wolle ihr Vater sein. Im Weiterreiten gelobte er alle diese Kinder, die
ihm verliehen sein würde, dem allgemeinen Untergang zu entreißen,
Gott und der heiligen Iungsrau; sie würde mütterlich die hilflose Rn-
schuld schirmen und einst vielleicht würden ihre reinen Herzen an Gottes
Thron für ihn beten.

Rm Mittag mußte die brennende Stadt verlassen werden; viele, die die
Hoffnung auf Beute noch zurückhielt, kamen mit ihren Opfern in den
Flammen oder unter einstürzenden Mauern und Fachwerk um.

Vom Heute fürs Morgen

Die Eidechse

x^in Verlag hatte mir geschrieben,
^2--er gäbe ein Sammelwerk her-
aus, als Einleitung brauch er einen
Aufsatz „Der Mensch als Krone der
Schöpfung", nnd es wäre ihm recht,
wenn der Artikel möglichst „zügig"
geschrieben werde . . .

Nun ist bestellte Arbeit nie be--
geisternd für Federn, die eigenwil-
lig sind. Aber immerhin — der
Mensch als Krone der Schöpfung?
Li, da muß sich doch was gutes
schreiben lassen! Aus einem sol-
chen Titel strömt ja von selbst Be-
geisterung, wenn man nur freund-
lich mit der Hand darüberstreicht!

Nur mit der Hand? Vor allem
mit dem Stolze, daß man selbst
ein Laubblatt an der Schöpfungs-
krone sei und drin rascheln dürfe,
wenn ... ja: wenn die Winde
gehn. Hm, Wind war gerade nicht
genug. Es mußte wohl auch Sturm
sein, der bis an die Wurzeln rührte.
Nur Stürme konnten Lieder singen
von der Schöpfungskrone.

Also saß ich am Tisch vor
meinem Fenster und wartete des
innern Sturms. Der aber wollte
nicht recht kommen. Vielleicht
weil draußen eitel Sonne schien.
Vielleicht weil mir aus einmal eine

Frage durch den Kopf schoß, die
Frage: Sind wir auch wirklich dieser
Schöpfung Krone? Genug — ich
weiß es nicht.

Ich weiß nur soviel, daß ich mit
meiner Bleistiftspitze zwecklos Löcher
in die weißen Blätter bohrte und
übers Fenstersims ins Leere starrte.
Da raschelte etwas an der Mauer.
Ein dreieckiges Köpflein schob sich
herauf und blinzelte. Ich hielt ganz
still. Da schob es sich weiter her-
auf, und jetzt, nach einem blitzschnel-
len Schwung, saß eine schlanke
Eidechse auf einem Fensterbrett des
Hauses, welches sie im Dorf das
Räuberhäuschen heißen.

Sie war ganz sonderbar grün.
Wie aus Stein gemeißelt lag sie
da in praller Sonne. Einen klei-
nen Schneller noch, so lag sie auf
meinem Manuskriptpapier. Aber
sie machte keinen mehr. Sie blickte
mich nur unverwandt an. Weil ich
mich nicht rührte, fürchtete sie sich
nicht. Ich konnte sehen, wie sich
unterm Kopf die feine Schüppchen-
haut hob und senkte und wie die
Auglein glitzerten.

Von der Straße kam ein sernes
Singen. Die Eidechse wandte das
Köpflein hierhin, dorthin — sie
horchte. Auf das Lied da drüben.

37H

Kunstwart XXVI, 25
 
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