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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

DOI issue:
Heft 22 (2. Augustheft 1913)
DOI article:
Jaskowski, Friedrich: Der Mensch und der Alkohol
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0317

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l Iahrg. 26 Zweites Augusthefl 1913 HefL22


Der Mensch und der Alkohol

tzM^eitsymbole könnte man Erscheinungen nennen, die nicht Gebilde
^-^willkürlicher Absichten sind, sondern Brennpunkte, in denen sich
^/das Eigentümliche einer Zeit sammelt. Sie werden von einer
größeren Anzahl von Menschen, die sie begeistern, sehr ernst genom-
men, erscheinen aber oft von einer späteren, anderen Aufgaben leben«
den Zeit aus unverständlich, übertrieben, ja lächerlich. Heute hört
man mit Lächeln, wie in den zärtlichen Tagen der Empfindsamkeit, da
man für Klopstock schwärmte, Wieland in einem Brief den Dichter
einlädt „zu einem Kuß und einem Koffet". Damals war das ganz
in der Ordnung. So ist die viele theoretische Beschäftigung mit dem
Alkohol, im engern Sinn die Abstinenzbewegung, als ein Zeitsymbol
für die Gegenwart zu nehmen. Diese Zeit der Tat und der Achtung
vor dem Tatsächlichen und des Willens zur Ouelle strebt, die Zwischen-
gewalten in jeder Art auszuschalten. Als eine Zwischengewalt von
großem Einfluß, besonders auf das Volksleben, ist der Alkohol zu be-
trachten, der doch seinen Anhängern Brillen aufsetzt und die „Welt-
anschauung" recht willkürlich verändert, was ja jene Studentenlieder
von der „rosenroten Schminke" und von der Straße, die so wunder-
lich ausschaut, lustig loben.

Auch in der Alkoholabstinenz spielt das eigentlich Menschliche,
nicht bloß die Nervenkraft und der Geldbeutel, mit. Begrifflich läßt
sie sich umgrenzen als Alkohol-Enthaltung aus Achtung
vor Gesetzen, Tatsachen der Natur, des Lebens und
des Menscheninnern.

Man darf nicht fragen: soll der Mensch Alkohol trinken oder
nicht? —; denn es ist mit den Tatsachen zu rechnen. Schon in ältester
Zeit hat man berauschende Getränke, und zwar unmäßig, genossen.
China und Iapan haben ihren Reiswein seit Iahrtausenden. Die
alten Agypter bereiteten aus Gerstenmalz ein „geistiges^ Getränk,
zählen aber wie Anmäßigkeit so Trunksucht zu den Hauptsünden.
Wenn sich in Rom ein deutscher König die Kaiserkrone aufsetzen ließ,
gelobte er, „sobriotatom oum vsi auxilio oustoäiro", mit Gottes Hilfe
nüchtern zu bleiben. Und Dichter fanden ein Etwas im Wein, eine
voritas und einen Gott, einen „heiligen Schlaf" in der „goldenen
Flut der Trauben", dem sie ihren Mund, in doppeltem Sinn, liehen.
Ganze Familien, ja auch große Männer hat der Alkohol, die Lust
am Alkohol zugrunde gerichtet. And trotz aller Finanznot haben die
Völker Milliarden für ihn übrig. Man muß das zu verstehen
suchen.

Tolstoi fragt: warum betäuben sich die Menschen? und gibt un-
gefähr zur Antwort: um die Stimme des Gewissens hinwegzuspülen.
Das deutet immerhin in die rechte Richtung. Der Mensch möchte
von dem anstrengenden, ängstenden, sorgenden Zwiespalt in seinem
eigenen Innern und zwischen sich und Welt und Leben los sein, er
möchte ausschalten, was den sorglosen, dichterisch heiteren, brüderlichen

2. Augustheft 2U
 
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