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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1913)
DOI Artikel:
Poeck, Wilhelm: Nachgrothische Lyrik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0323

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Literatur zu. Ferner waren die drei großen Kriege mit ihrer Konzentra--
tionstendenz und die unmittelbar folgende verhängnisvolle wirtschaftliche
Periode der Entwicklung und Pflege bodenständigen Volkstums nicht
günstig. Ihre Wirkung auf das Plattdeutsche kennzeichnet sich zum Bei-
spiel dadurch, daß selbst Groth eine Zeitlang so gut wie vergessen war.
Seine Verbitterung — es war nicht mehr die gegen Reuter — ist berechtigt
gewesen, und die Gleichgültigkeit, mit der die Zeitgenossen seinem ferne-
ren Schasfen, zum Beispiel dem „Rotgeter" gegenüberstanden, ist be-
zeichnend für ihre Geringschätzung der plattdeutschen Literatur überhaupt.
Nur Reuter machte darin eine Ausnahme.

Allerdings, plattdeutsche Federn regten sich genug, trotzdem die be-
fruchtende Wirkung gehemmt war. Aber sie waren mit wenigen Aus-
nahmen dilettantischer Art, zum großen Teil von reinen Reimschmieden
geführt, die mit Vorliebe die bequeme Reutersche Läuschenform zu anek-
dotischen Versifizierungen ausmünzten und selbst die noch verwässerten.
Wirkliche Begabungen, wie zum Beispiel der Friese Harbert Harberts, die
Mecklenbnrger Brüder Karl und Friedrich Lggers, die Pommerin Alwine
Wuthenow konnten sich meistens nicht genügend entfalten, versuchten es
auch wohl gar nicht. Was gleichzeitig mit Groth und nach ihm an
plattdeutscher Poesie entstand, beschränkte sich somit im wesentlichen auf
kleinere Kreise, meistens auf den engsten heimatlichen Dialektbezirk. Anch
die Motive: Liebe zur Heimat, zur Sprache, zu Weib, Kind,
Familie, Haus, Beruf blieben die herkömmlichen. Diese weniger in
Büchern vereinigten, mehr in Zeitnngen verstreuten Poesien traten, ganz
abgesehen von dem überragenden Grothschen Talent, auch deswegen weni-
ger hervor, weil die einzelnen kleinen Kultur- oder Sprachbezirke der
übrigen niederdeutschen Stämme nicht die ehemalige Geschlossenheit, die
geschichtliche Bedeutung und die geistige hervorragende Veranlagung der
Dithmarscher aufweisen konnten. Lrotzdem hätten sie wohl eine höhere
literarische Linschätzung als eine im Nebenamt, Feierabend, Sonntags-
und Ferienstimmung, kurz eine im Winkel erblühte Dialektpoeterei ver-
dient, wenigstens in Kreisen, die ihr eigenes Volkstum mit noch anderem
als rein ästhetischem Lmpfinden schätzten und liebten. Vielleicht wäre
dann das Schicksal eines so begabten Dichters wie Harbert Harberts, der
sich aus Nahrungssorgen erschoß, ein anderes gewesen. Auf die einzel-
nen Dichter dieser Epoche, als deren bedeutendster Iohn Brinckman mit
seinem „Vagel Grip" zu gelten hat, soll hier nicht weiter eingegangen
werden, ein Bild ihres literarischen Gesamtschaffens läßt sich recht gut
aus der Regenhardtschen Anthologie „Die deutschen Mundarten" (Berlin,
C. Regenhardt) gewinnen.

Diesem Erlahmen der neuplattdeutschen Literatur nach Groth und
Reuter folgte etwa um die Iahrhundertwende auf allen ihren Gebieten
ein bemerkenswerter Aufstieg. Will man für ihn ein der hochdeutschen
Literatur entsprechendes Schlagwort wählen, so kann man vielleicht von
dem Anbruch eines silbernen plattdeutschen Zeitalters sprechen. Es ist,
als ob in einen dahinsiechenden Körper plötzlich ein Schuß neuen Blutes
gekommen wäre. Die Wurzel der neuen Bewegung ist doppelt. Staven-
hagen, der auf dramatischem Gebiet als ihr Neuformer gilt, kommt vom
Naturalismus her. Die nicht minder stark aufstrebende Lyrik und Epik
dagegen erhielten ihre Anregung aus der Heimatkunstbewegung. And

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