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Kunstwart und Kulturwart — 26,4.1913

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Heft 20 (2. Juliheft 1913)
DOI article:
Gürtler, Franz: Prüfungen für Musikkritiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.14284#0145

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gegenüber den andern bald an der Tagesordnung. Und angenommen,
daß Prüfungfächer festgesetzt werden, die ernem Kritiker gar nicht wich-
tig erscheinen, andre vernachlässigt werden, die er für ausschlaggebend
hält, soll ein solcher auch durch das Ioch gehen? Soll er bekennen:
ich halte das zwar für überflüssig, aber ich kann ohne das nicht
„konkurrieren« ?* Wer auf freie Außerung der Meinung, auf
Selbständigkeit und Gewissenhaftigkeit hält, könnte dies nicht. Sezes»
sionen und Kriegzüge wären die Folge, Wissenschafter und Praktiker,
geschichtlich Gebildete und Bekenner zur Gegenwart, Theaterkundige
und Instrumentkundige ständen sich gegenüber, Gruppen jeder Art und
jedes Ziels.

Daß vr. Kamienski auch „in moralischer Hinsicht" die Kritiker
„überwacht" sehen möchte, habe ich mit aufrichtigem Lrstaunen gelesen.
Dreifach gälte es dann, den Einfluß einer solchen moralischen Wach--
gesellschaft von vornherein lahmzulegen, wenn jener Vorschlag zur Tat
würde. Doch wird man allerdings erst abzuwarten haben, welche
Moral und welche Kompetenz, welche Stellungnahmen und in welchen
Fragen denn gemeint ist.

Der Kritiker erweist seinen Beruf durch die Tat. Letztlich und end-
lich kann nur gelten, daß der berufen ist, der gute Musikkritiken schrei-
ben kann, möge seine Vorbildung sein welche sie wolle. Daß ein
„moralisch" einwandfreier Mann angestellt werde, dafür hat zu sorgen,
wer ihn anstellt, nicht eine dritte Instanz. Wenn sich jemand schlimme
„Blößen" gibt, so mögen Fachleute es ihm beweisen, und ein
„Bund der Guten" möge notfalls ösfentlich gegen ihn geschlossen auf-
treten; genießt der Bund wohlerworbenes Vertrauen, so wird er da-
mit nicht ohne Wirkung bleiben, sosern er Splitterrichterei meidet, Ver-
ständnis für die soziale Lage auch des bösen Kollegen zeigt und indi-
viduelle Standorte gelten läßt. Wohl, es gibt schlimme Zustände und
Vorgänge in der Musikkritik, aber nicht durch jenes Mittel sind sie
zu bessern.** Will man etwas Praktisches tun, so wirke man auf den
Abschluß vernünftiger Anstellungverträge hin, durch welche der an-
gestellte Kritiker nicht gezwungen wird, über etwas zu urteilen, was er
nicht versteht,- was man selbst versteht, muß man freilich wissen; die
Entscheidung darüber kann aber eben nur der Kritiker selbst fällen;
es gibt Gegenstände der Kritik, deren sämtliche Seiten mancher be-
rühmte Kritiker nicht übersieht; aber auch solche, deren wichtigste jemand
richtig beurteilt, der manches „Fachmäßige" vernachlässigt. Für die
Tagespresse schiene mir am wichtigsten, daß die Kritik an den Aus-
übenden so weit wie irgend möglich zurückgedrängt würde. Es ist
eigentlich für Publikum, Kritiker und für die Kunst gleichgültig, .ob
Herr F. oder Fräulein G. so oder so gesungen oder gespielt haben;
vielfach würdigt es den Kritiker geradezu herab, sich immer wieder mit

* Kamienski schlägt ganz offenherzig vor, „dahin zu wirken, daß
ausschließlich geprüfte und »patentierte« Kritiker zum öffentlichen Musik-
richteramte gelangten". Meines Erachtens würde das das Ende einer
beachtenswerten Kritik hier wie auf allen andern Gebieten bedeuten.

** Es verlautet inzwischen, daß der betreffende Verband die Einrichtung
der Kritiker-Prüfung abgelehnt hat.

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j 2. Iuliheft MS M
 
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