darin sieht, doch nicht anders denn als linear zu bezeichnen. Das
Entscheidende ist, wie weit die Form auf bestimmte Grenzen hin ge-
sehen und wie weit diese Grenzen als das Wesentliche für das Auge
zur Geltung gebracht sind. Nicht daß überhaupt Linien da sind, be-
dingt den Charakter des Linearen, sondern daß diese Linien Grenz-
linien sind, in denen die Form sich ausspricht und die das Auge als
gleichmäßig und sicher führende Btickbahn benutzen kann. Niemand
wird die Linie als etwas für sich aufsassen, als einen schwarzen Faden;
auch in einer reinen Nmrißzeichnung gibt sie eben nur den Rand an,
den die Phantasie willig mit Masse ausfüllt, aber es ist die Eigen-
tümlichkeit linearer Darstellung, daß der Akzent auf der Silhouette
liegt. Ilnd auch Binnenformen haben ihre Silhouette.
Die modellierenden Elemeirte von Licht und Schatten sind noch kein
Widerspruch zum linearen Stil. Sie können in starken Dosen vor-
kommen, ohne den Eharakter des Linearen zu alterieren, sobald sie
nur innerhalb fester und leicht faßbarer Grenzen sich halten. Der
malerische Stil beginnt erst da, wo die Randlinien für die Aufmerksam-
keit zurücktreten und die Massen von Hell und Dunkel, die „Töne^,
ohne Rücksicht auf ihre genauere Begrenzung, den Blick zunächft an-
ziehen. Das Auge läuft dann nicht mehr dem Rand entlang, son-
dern springt von Licht zu Licht, von Dunkelheit zu Dunkelheit. Es
bindet Ton mit Ton. Ie weniger dem Beschauer die Möglichkeit ge-
geben ist, Konturen abzulesen, um so stärker wird das Element dieser
Massen sprechen. Darum liegt es durchaus im Interesse des male-
rischen Stils, alle Begrenzung unscheinbar zu machen oder als zu-
sällig erscheinen zu lassen. Was eine Zeichnung Dürers von einer
Zeichnung Rembrandts prinzipiell unterscheidet, ist nicht das Mehr
oder Weniger an Licht und Schatten, sondern daß die Massen dort
mit betontem Rand auftreten uird hier mit unbetontem. Die Grade
des „Unbetonten" sind natürlich zahllos. Man braucht die Form
nicht auszufransen, um die Silhouette zu vernichten, sie ist schon ent-
wertet, wenn sie keinen Ausdruck mehr enthält oder durch komplizierte
Bildung dem Ange schwer faßbar ist. Auch der entschiedene male-
rische Stil wird nur selten auf jede feste Grenzsetzung verzichten, aber
wenn Ränder sichtbar werden, so geschieht es eben nur sporadisch und
ungleich, bald mehr oder weniger deutlich, ohne die Erklärung einer
Gesamtform zu vermitteln. Eine malerische Silhouette deckt sich nicht
mit der „Sache^. — Immer kommt es auf Verhältniswerte an und
man kann unmöglich in der Kunstgeschichte den Finger auf den Punkt
legen, wo das Lineare aufhört und das Malerische einsetzt.
Wo der Rand als Wesentliches spricht, da trennt sich Form von
Form; die Flächen des malerischen Stils mit unbetonter Grenze ver-
binden sich untereinander. Helligkeiten und Dunkelheiten schießen
zusammen, und es entsteht ein eigentümlicher Bewegungseindruck,
dem Wogen eines Stromes vergleichbar, wie ihn die lineare Kunst
nicht kennt. Höhen und Tiefen, Helles und Dunkles, — sie scheinen
demselben Element anzugehören. Eine nackte Venus auf schwarzem
Grund von einem Lukas Eranach hebt sich ganz gesondert von der
Tiefe ab, wenn Rembrandt etwas Derartiges malt, so scheint das Licht
mit dem Dunkel verflochten zu sein und aus dem Dunkel sich gleichsam
2. Iuliheft
Entscheidende ist, wie weit die Form auf bestimmte Grenzen hin ge-
sehen und wie weit diese Grenzen als das Wesentliche für das Auge
zur Geltung gebracht sind. Nicht daß überhaupt Linien da sind, be-
dingt den Charakter des Linearen, sondern daß diese Linien Grenz-
linien sind, in denen die Form sich ausspricht und die das Auge als
gleichmäßig und sicher führende Btickbahn benutzen kann. Niemand
wird die Linie als etwas für sich aufsassen, als einen schwarzen Faden;
auch in einer reinen Nmrißzeichnung gibt sie eben nur den Rand an,
den die Phantasie willig mit Masse ausfüllt, aber es ist die Eigen-
tümlichkeit linearer Darstellung, daß der Akzent auf der Silhouette
liegt. Ilnd auch Binnenformen haben ihre Silhouette.
Die modellierenden Elemeirte von Licht und Schatten sind noch kein
Widerspruch zum linearen Stil. Sie können in starken Dosen vor-
kommen, ohne den Eharakter des Linearen zu alterieren, sobald sie
nur innerhalb fester und leicht faßbarer Grenzen sich halten. Der
malerische Stil beginnt erst da, wo die Randlinien für die Aufmerksam-
keit zurücktreten und die Massen von Hell und Dunkel, die „Töne^,
ohne Rücksicht auf ihre genauere Begrenzung, den Blick zunächft an-
ziehen. Das Auge läuft dann nicht mehr dem Rand entlang, son-
dern springt von Licht zu Licht, von Dunkelheit zu Dunkelheit. Es
bindet Ton mit Ton. Ie weniger dem Beschauer die Möglichkeit ge-
geben ist, Konturen abzulesen, um so stärker wird das Element dieser
Massen sprechen. Darum liegt es durchaus im Interesse des male-
rischen Stils, alle Begrenzung unscheinbar zu machen oder als zu-
sällig erscheinen zu lassen. Was eine Zeichnung Dürers von einer
Zeichnung Rembrandts prinzipiell unterscheidet, ist nicht das Mehr
oder Weniger an Licht und Schatten, sondern daß die Massen dort
mit betontem Rand auftreten uird hier mit unbetontem. Die Grade
des „Unbetonten" sind natürlich zahllos. Man braucht die Form
nicht auszufransen, um die Silhouette zu vernichten, sie ist schon ent-
wertet, wenn sie keinen Ausdruck mehr enthält oder durch komplizierte
Bildung dem Ange schwer faßbar ist. Auch der entschiedene male-
rische Stil wird nur selten auf jede feste Grenzsetzung verzichten, aber
wenn Ränder sichtbar werden, so geschieht es eben nur sporadisch und
ungleich, bald mehr oder weniger deutlich, ohne die Erklärung einer
Gesamtform zu vermitteln. Eine malerische Silhouette deckt sich nicht
mit der „Sache^. — Immer kommt es auf Verhältniswerte an und
man kann unmöglich in der Kunstgeschichte den Finger auf den Punkt
legen, wo das Lineare aufhört und das Malerische einsetzt.
Wo der Rand als Wesentliches spricht, da trennt sich Form von
Form; die Flächen des malerischen Stils mit unbetonter Grenze ver-
binden sich untereinander. Helligkeiten und Dunkelheiten schießen
zusammen, und es entsteht ein eigentümlicher Bewegungseindruck,
dem Wogen eines Stromes vergleichbar, wie ihn die lineare Kunst
nicht kennt. Höhen und Tiefen, Helles und Dunkles, — sie scheinen
demselben Element anzugehören. Eine nackte Venus auf schwarzem
Grund von einem Lukas Eranach hebt sich ganz gesondert von der
Tiefe ab, wenn Rembrandt etwas Derartiges malt, so scheint das Licht
mit dem Dunkel verflochten zu sein und aus dem Dunkel sich gleichsam
2. Iuliheft