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Österreich / Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale [Hrsg.]
Mittheilungen der K.K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale — 8.1863

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Nr. 4 (April 1863)
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kleine Mittheilungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.25927#0123

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— 113

bestimmbaren fast von jeder Gattung eine grosse Anzahl vorfindet,
so ist eine geringe Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass unter den
unkenntlichen besondere neue Typen befindlich seien.
Ed. Freih. v. Sacken.
D!e Deckenbildcr der Sixtinischen CapeHe.
Man ist gewohnt sich die künstlerische Thätigkeit der Meister des
XVI. Jahrhunderts schlechthin als eine von der Tradition völlig los-
gelöste zu denken. Namentlich pflegt man Michel Angelo's Stel-
lung zur religiösen Kunst als eine subjectiv freie, selbst willkürliche
zu bezeichnen. W. Lübke führt nun in einem jüngst erschienenen
Aufsatze, betitelt: „Die Dcckenbilder der Sixtinischen Capelle", der
als ein Theil des erläuternden Textes zu den in Berlin erscheinen-
den photographischen Abbildungen von Werken berühmter Meister
erschien, den interessanten Nachweis, dass dies nur im gewissen
Sinne richtig sei und gerade die Gemälde der Sixtinischen Capelle
unzweifelhaft darlegen, dass selbst dieser grosse Meister nicht eigen-
mächtig seinen Gegenstand wählte, sondern ihn aus der Hand der
Kirche und einer geheiligten Tradition empfing. Erst in der Art, wie
er das gegebene Thema ergriff, selbstständig verwendete und umge-
staltete, bewährt er seine hohe Freiheit und geniale Schöpferkraft.
„Der Bilderkreis der Sixtinischen Capelle", bemerkt Lübke,
umfasst jenen einfachsten und doch grossartigsten christlichen Ge-
danken vom Sündenfall und der Erlösung, der in unzähligen Bilder-
werken des Mittelalters, in Portalsculpturen, in Miniaturen, Waud-
und Deckengemälden wiederkehrt. Die Gemälde der Sixtina geben
den mittelalterlichen Werken an Tiefsinn und Folgerichtigkeit des
Ganzen nichts nach, überbieten sie alle aber selbstverständlich an
Gedankenfülle im Einzelnen, an Tiefe des Ausdrucks, an Schönheit
und Herrlichkeit der Form. Die Gliederung des Ganzen beruht auf
einer Raumsymbolik, wie auch das Mittelalter sie in seinen grossen
Bildercyklen anwendet: das räumlich Entferntere und Nähere ent-
spricht genau der geschichtlichen Folge. Oben an der Decke führen
uns die Darstellungen der Schöpfungsgeschichte bis zur Sündtluth
in die ältesten Zeiten zurück. An der Wand der Langseite zur Linken
des Eintretenden ist in sechs grossen Bildern die Geschichte Mosis
vorgestellt; ihr entsprechen an der gegenüberliegenden Wand eben
so viele Scenen aus dem Leben Christi. Diesen schliessen sich un-
mittelbar die Tapeten Raphaels mit Darstellungen aus der Apostel-
geschichte an; sie enthalten die Wunderthaten der Apostelfürsten
Petrus und Paulus und den Opfertod des ersten Märtyrers Stepha-
nus, also das Wirken der Kirche Christi auf Erden, die Verbreitung
seiner Lehre durch Predigt und Wunderthaten und die Besiegelung
derselben durch den freiwilligen Tod der Blutzeugen. Zu den Tape-
ten gehören endlich noch Sockelbilder mit Darstellungen aus dem
Leben Papst Leo's X., wodurch der grosse Cyklus bis in die unmit-
telbare Gegenwart fortgesetzt und mit dem Leben des gerade regie-
renden „Stellvertreters Christi" in Verbindung gebracht wurde. Den
ganzen Kreis sollten aber zwei grosse Bilder wie in gewaltigen
Rahmen einschliessen: an der Altarwand das jüngste Gericht als
erschütternde Darstellung der letzten aller Dinge, und an der Ein-
gangswand jenem gegenüber sollte Michel Angelo Lucifers
Empörung und den Sturz der Engel malen, d. h. den Anfang aller
geschichtlichen Entwickelung durch das Auftreten des bösen Prineips,
dessen unablässiger Kampf gegen das Gute das treibende Element
der welthistorischen Bewegung geworden ist."
Hierauf liefert Lübke den Nachweis, dass die Gliederung dieses
Gedankenganges nicht Sache des Zufalls war, sondern jenem typo-
logischen Bilderkreise entspricht, wie er bei Kunstwerken des
romanischen Styles (vergl. den Verdtiner Altar zu Klosterneuburg)
vorkommt und in den minirten Handschriften der Biblia pauperum
und des Speculum humanae salvationis vorgezeichnet ist.
Vlll.

„Überblicken wir," schreibt der Verfasser, „die Bilderreihen
der Sixtinischen Capelle, so springt sogleich in die Augen, dass die
beiden Folgen von Gemälden an den Wänden der Langseiten den
typologischen Reihen „sub lege" und „sub gratia" angehören. Dies
erhellt noch mehr aus der genauen Übereinstimmung der entspre-
chenden Bilder. Das erste links zeigt Moses auf der Reise nach
Egypten mit seiner Frau Zipora, die ihren Sohn beschneidet. Diesem
entspricht in der andern Reihe die Taufe Christi im Jordan. Im
zweiten Bilde sind mehrere Thaten des Moses vor seiner Entwei-
chung aus Ägypten dargestellt, darunter vornehmlich, wie Gott ihm
im feurigen Busch erscheint. Hier hat die Beziehung auf das Leben
Christi sogar zu einer unrichtigen Reihenfolge genöthigt, da sämmt-
liche Vorgänge des zweiten Bildes denen des ersten vorangehen
müssten, eine Unregelmässigkeit, die sich nur aus der gegenüber-
liegenden Reihe erklärt; denn dort ist, jener Erscheinung im feurigen
Busche entsprechend. Christus dargestelit wie er die Versuchung
des Teufels in der Wüste abweist und den einzig wahren Gott
bekennt. Das dritte Bild schildert den Untergang Pharao's im rothen
Meer und die Errettung der Israeliten. Wie dort Moses und die
Seinen als Auserwählte Gottes hervortreten, so sehen wir auf dem
entsprechenden Bilde der rechten Wand Petrus und Andreas zur
Nachfolge Christi berufen. Auf dem vierten Bilde empfängt Moses
auf dem Berge Sinai die Gesetzestafeln. Diesem entspricht auf der
andern Seite die Darstellung der Bergpredigt Christi. Es folgt dann
auf dem fünften Bilde der Untergang der Rotte Korah und die Ver-
nichtung der Söhne Arons, weil sie unberufen geopfert hatten. Wie
hier die priesterliche Gewalt durch Gottes Eingreifen geschützt
wird, so beruft Christus auf dem entsprechenden Bilde der rechten
Seite den Petrus zur Verwaltung des Schlüsselamtes. Endlich sieht
man auf dem rechten Bilde Mosis Abschied vom Leben, auf der
andern Seite Christi Abschied von den Jüngern bei Einsetzung des
Abendmahles. Den Abschluss bilden zwei Gemälde der Eingangswand,
einerseits den Streit des Erzengels Michael über Moses Leichnam,
andererseits die Auferstehung Christi darstellend. Aber auch die
gegenüberliegende Altarwand enthielt ursprünglich noch zwei zu
derselben Reihenfolge gehörende Bilder, welche den Anfang aus-
machten. Man sah hier die Findung des Moses durch Pharao's Toch-
ter und die Geburt Christi. Diese Bilder und die zwischen beiden
dargestellte Himmelfahrt der Maria wurden zerstört, als es galt, für
Michel Angelo's jüngstes Gericht genügenden Platz zu schaffen.
Damit verschwand die einzige Darstellung in diesem Raume, die sich
geradezu auf die Jungfrau bezog: doch werden wir Rüden, dass die
Stellung der Madonna zur Erlösungsgeschichte vorbildlich in den
Deckengemälden berücksichtigt wurde.
Den Parallelreihen der W andb ilder treten nun die Decken-
gemälde so gegenüber, dass sie der typologischen Abtheilung
„ante legem" entsprechen. Nur die Freiheit erlaubte man sieh, keine
Beziehuug auf die einzelnen der unten dargestellten Scenen zu for-
dern, was ohnehin die räumliche Anordnung kaum gestattet hätte:
Michel Angelo's Compositionen sind im Ganzen gedacht und
befolgen in ihrer Gliederung nur die eigenen, aus dem innern
Gehalte des Stoffes und der architektonischen Raumordnung Riessen-
den Gesetze. Nie hat schöner die Freiheit eines erhabenen Künstler-
geistes sich mit dem Gebot ehrwürdiger Überlieferung in Harmonie
gesetzt.
Die Decke der Sixtinischen Capelle hat die Form eines Spiegel-
gewölbes, dessen mittlere Fläche sich an den Seiten durch Gewölbe
mit der Mauer verbindet. Die Form ist für die Malerei ungünstig, weil
sie keine durchgreifende, in der Composition begründete Gliederung
ergibt, wie beim Kreuzgewölbe; günstig, weil sie eben dadurch die
ErRndungskraft des Künstlers herausfordert. Michel Angelo
wusste sie in genialer Weise seinen Zwecken zu unterwerfen. Die
Capelle hat an jeder Langseite sechs, an den Schmalseiten je zwei
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