76
Kapitel II
gemeiner Zügellosigkeit fest verbunden mit dem Vorwurf heterosexueller
Ausschweifungen und ist daher jedenfalls nicht kompatibel mit der Vorstel-
lung einer ausschließlich gleichgeschlechtlichen Präferenz (mit daraus er-
wachsender physischer Unfähigkeit zur Erfüllung der elementaren ehelichen
Pflichten).
Nicht in Betracht gezogen wurde dagegen bislang die Möglichkeit, daß
Wilhelm sich die Möglichkeit einer bestimmten Eheschließung offenhalten
wollte. Suger von St-Denis berichtet, es habe in der Kindheit Ludwigs VI. ein
verbreitetes Gerücht gegeben, daß Wilhelm, »jener stolze und angriffslustige
König, sich Hoffnung auf die französische Krone machte«, falls Ludwig, der
einzige legitime Sohn seines Vaters, zu Tode käme'". Wilhelms Mutter Ma-
thilde von Flandern war durch ihre Mutter Adele eine Enkelin König Roberts
II., so daß Wilhelm in der Tat zum weiteren Kreis derer gehörte, die einen
Anspruch auf die Nachfolge erheben konnten, falls Philipp I. ohne legitimen
Erben geblieben wäre"'. Allerdings ist nicht erkennbar, wie er seine Forderung
gegenüber näheren Verwandten in männlicher Linie hätte durchsetzen kön-
nen, vor allem gegenüber Philipps Bruder, Graf Hugo von Vermandois, und
gegenüber Herzog Odo von Burgund ". Die einzige Möglichkeit, sich gegen-
über diesen einen legitimatorischen Vorsprung zu verschaffen, hätte in einer
Ehe Wilhelms mit Konstanze bestanden, der einzigen Tochter Philipps I. aus
seiner Ehe mit Bertha von HollandMöglicherweise stand hinter der Ehelo-
and Thirteenth Centuries, in: Journal of Medieval History 26.2 (2000), S. 115-126; VAN
ElCKELS/BRÜSCH 2000, S. 363 f.: Nikolaus von Calvi über Friedrich II.
70 Sugerus Sancti Dionysii, Vita Ludovici VI Grossi (CHF 11; ed. Waquet), S. 10: Dzcebatzzz* ezyzzz-
pzdyo reyew z'/him stzperbzzzzz et zzrzpefzzoszzrzz gspz'rare ad reynzzzn Frzznconrzrz, yzzza^zzzzoszzs zrzue-
zrz's zzziz'czzs patr; erat de noMz'ssz'wa cozrz'rzye, Robertz NzziidrgKSz's cozrzzfz's sorore. Qzzz ezzzzzz dzzo szzpe-
rerarzt, P/zydppzzs et Noras, de stzperdzzcia Arzdeyarerzsz corzzzfzsszz Berfrzzdzz yezzz'tz erazzt rzec z'dorazzz
apprecz'abatzzr szzccesszoneza, sz anz'ctzzzz prz'zfzzzzzz decedere zyzzoctzzayae z'rz/brtzzzzzo contz'zzyeret.
71 Die Option einer Ehe mit Konstanze blieb für den Fall eines frühen Todes Ludwigs (VI.)
auch nach 1092 interessant, als Philipp I. Bertha von Holland ' verstieß und stattdessen Ber-
trada von Montfort, die Gemahlin Graf Fulkos IV. von Anjou, zur Frau nahm, die ihm in den
folgenden Jahren zwei Söhne gebar. Obwohl der Bischof von Senlis die Trauung vornahm,
war von Anfang an und spätestens seit der Exkommunikation Philipps 1094 klar, daß die
Legitimität dieser Verbindung und der aus ihr hervorgehenden Kinder höchst anfechtbar
war; FLICHE 1912, S. 36-77 und 90 f. Dennoch war damit zu rechnen, daß die Söhne Bertra-
das Anspruch auf die Nachfolge erheben würden, falls Ludwig (VI.) vor seinem Vater ster-
ben sollte. Suger von St-Denis stellt aus der Rückschau zwar apodiktisch fest, daß die Söhne
Philipps I. und Bertradas wegen ihrer illegitimen Geburt als Nachfolger nicht infragekamen
(s.o.); sein eigener Bericht über den Aufstand Philipps von Mantes nach dem Herrschaftsan-
tritt Ludwigs VI. zeigt aber, daß sie sich durchaus Hoffnung auf die Nachfolge machten;
Sugerus Sancti Dionysii, Vita Ludovici VI Grossi (CHF 11; ed. Waquet), S. 10 und 122-124;
vgl. Andrew W. LEWIS, Royal Succession in Capetian France. Studies on Familial Order and
the State (Harvard Historical Studies 100), Cambridge 1981, S. 50-54 und 246, Anm. 38. In
einem solchen Fall hätte Wilhelm Rufus durchaus mit Aussicht auf Erfolg in den Thronstreit
eingreifen können.
72 Zu diesen vgl. FLICHE 1912, S. 98 f. (Hugo) und 244 f. (Odo). Odo war wie Wilhelm ein Ur-
enkel Roberts II., allerdings in männlicher Linie. Hugo und Odo hatten zudem männliche
Nachkommen.
73 Konstanze wurde kurz vor 1097 mit Graf Heinrich von Troyes verheiratet; diese Ehe wurde
jedoch 1104 wegen zu enger Verwandtschaft getrennt; FLICHE 1912, S. 86-90 und 247 f.
Kapitel II
gemeiner Zügellosigkeit fest verbunden mit dem Vorwurf heterosexueller
Ausschweifungen und ist daher jedenfalls nicht kompatibel mit der Vorstel-
lung einer ausschließlich gleichgeschlechtlichen Präferenz (mit daraus er-
wachsender physischer Unfähigkeit zur Erfüllung der elementaren ehelichen
Pflichten).
Nicht in Betracht gezogen wurde dagegen bislang die Möglichkeit, daß
Wilhelm sich die Möglichkeit einer bestimmten Eheschließung offenhalten
wollte. Suger von St-Denis berichtet, es habe in der Kindheit Ludwigs VI. ein
verbreitetes Gerücht gegeben, daß Wilhelm, »jener stolze und angriffslustige
König, sich Hoffnung auf die französische Krone machte«, falls Ludwig, der
einzige legitime Sohn seines Vaters, zu Tode käme'". Wilhelms Mutter Ma-
thilde von Flandern war durch ihre Mutter Adele eine Enkelin König Roberts
II., so daß Wilhelm in der Tat zum weiteren Kreis derer gehörte, die einen
Anspruch auf die Nachfolge erheben konnten, falls Philipp I. ohne legitimen
Erben geblieben wäre"'. Allerdings ist nicht erkennbar, wie er seine Forderung
gegenüber näheren Verwandten in männlicher Linie hätte durchsetzen kön-
nen, vor allem gegenüber Philipps Bruder, Graf Hugo von Vermandois, und
gegenüber Herzog Odo von Burgund ". Die einzige Möglichkeit, sich gegen-
über diesen einen legitimatorischen Vorsprung zu verschaffen, hätte in einer
Ehe Wilhelms mit Konstanze bestanden, der einzigen Tochter Philipps I. aus
seiner Ehe mit Bertha von HollandMöglicherweise stand hinter der Ehelo-
and Thirteenth Centuries, in: Journal of Medieval History 26.2 (2000), S. 115-126; VAN
ElCKELS/BRÜSCH 2000, S. 363 f.: Nikolaus von Calvi über Friedrich II.
70 Sugerus Sancti Dionysii, Vita Ludovici VI Grossi (CHF 11; ed. Waquet), S. 10: Dzcebatzzz* ezyzzz-
pzdyo reyew z'/him stzperbzzzzz et zzrzpefzzoszzrzz gspz'rare ad reynzzzn Frzznconrzrz, yzzza^zzzzoszzs zrzue-
zrz's zzziz'czzs patr; erat de noMz'ssz'wa cozrz'rzye, Robertz NzziidrgKSz's cozrzzfz's sorore. Qzzz ezzzzzz dzzo szzpe-
rerarzt, P/zydppzzs et Noras, de stzperdzzcia Arzdeyarerzsz corzzzfzsszz Berfrzzdzz yezzz'tz erazzt rzec z'dorazzz
apprecz'abatzzr szzccesszoneza, sz anz'ctzzzz prz'zfzzzzzz decedere zyzzoctzzayae z'rz/brtzzzzzo contz'zzyeret.
71 Die Option einer Ehe mit Konstanze blieb für den Fall eines frühen Todes Ludwigs (VI.)
auch nach 1092 interessant, als Philipp I. Bertha von Holland ' verstieß und stattdessen Ber-
trada von Montfort, die Gemahlin Graf Fulkos IV. von Anjou, zur Frau nahm, die ihm in den
folgenden Jahren zwei Söhne gebar. Obwohl der Bischof von Senlis die Trauung vornahm,
war von Anfang an und spätestens seit der Exkommunikation Philipps 1094 klar, daß die
Legitimität dieser Verbindung und der aus ihr hervorgehenden Kinder höchst anfechtbar
war; FLICHE 1912, S. 36-77 und 90 f. Dennoch war damit zu rechnen, daß die Söhne Bertra-
das Anspruch auf die Nachfolge erheben würden, falls Ludwig (VI.) vor seinem Vater ster-
ben sollte. Suger von St-Denis stellt aus der Rückschau zwar apodiktisch fest, daß die Söhne
Philipps I. und Bertradas wegen ihrer illegitimen Geburt als Nachfolger nicht infragekamen
(s.o.); sein eigener Bericht über den Aufstand Philipps von Mantes nach dem Herrschaftsan-
tritt Ludwigs VI. zeigt aber, daß sie sich durchaus Hoffnung auf die Nachfolge machten;
Sugerus Sancti Dionysii, Vita Ludovici VI Grossi (CHF 11; ed. Waquet), S. 10 und 122-124;
vgl. Andrew W. LEWIS, Royal Succession in Capetian France. Studies on Familial Order and
the State (Harvard Historical Studies 100), Cambridge 1981, S. 50-54 und 246, Anm. 38. In
einem solchen Fall hätte Wilhelm Rufus durchaus mit Aussicht auf Erfolg in den Thronstreit
eingreifen können.
72 Zu diesen vgl. FLICHE 1912, S. 98 f. (Hugo) und 244 f. (Odo). Odo war wie Wilhelm ein Ur-
enkel Roberts II., allerdings in männlicher Linie. Hugo und Odo hatten zudem männliche
Nachkommen.
73 Konstanze wurde kurz vor 1097 mit Graf Heinrich von Troyes verheiratet; diese Ehe wurde
jedoch 1104 wegen zu enger Verwandtschaft getrennt; FLICHE 1912, S. 86-90 und 247 f.