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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0133

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England und Frankreich nach 1066

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dürften ihn seine bretonischen Berater bestärkt haben, die im Falle einer
Übertragung des Festlandsbesitzes an Arthur eine starke Ausweitung ihres
Einflusses erwarten konnten.
Möglicherweise ist es kein Zufall, daß der Beginn der Auseinandersetzun-
gen (Ladung Johanns nach Paris am 25. März, Ladung Arthurs durch Johann
am 27. März 1202) fast auf den Tag genau mit dem fünfzehnten Geburtstag
Arthurs am 29. März 1202 zusammenfällt. Für Arthurs Ansprüche war dies
ein nicht unwichtiger Termin: Wenn man die im weltlichen Recht häutigste
Altersgrenze (14 Jahre)*^ zugrundelegt, war seit Arthurs Mündigkeit annä-
hernd Jahr und Tag vergangen, ohne daß er Einspruch gegen Johanns unge-
störten Besitz seiner französischen Lehen erhoben hatte. Arthurs Ansprüche
drohten zu verfallen, und Philipp setzte sich damit dem Vorwurf aus, einen
an seinem Flof lebenden Waisen nicht seiner königlichen Pflicht entsprechend
schützen zu können oder zu wollen.
Auch die Klagen, die die Lusignans und seine Abtei St-Martin-de-Tours
ihm vortrugen, zwangen Philipp zum Handeln. Er hätte sie zurückweisen
und jeglichen Beistand ablehnen können, damit aber eingestanden, daß sein
Einfluß nicht ausreichte, Johanns Verhalten zu ändern, und er nicht in der
Lage war, seine /i'&fps außerhalb seines unmittelbaren Herrschaftsbereiches
zu schützen, und seine königliche Aufgabe, das Recht zu wahren, nicht im
gesamten rcgTuun Fnmcomm erfüllen konnte.
Ebenso wie Philipp erscheint aber auch Johann bei Radulf von Coggeshall
als Gefangener seiner Ehre. Als er 1205 ein großes Heer und eine große Flotte
versammelt hatte, um in die Normandie überzusetzen, bedrängten ihn Hu-
bert Walter und Wilhelm Marshall, von seinem Vorhaben abzulassen, da es
für ihn und sein englisches Reich, das er schutzlos zurücklassen müßte, zu ge-
fährlich sei. Johann sei daraufhin hin- und hergerissen gewesen zwischen
»der Schande, die mit einem Abbruch des Unternehmens verbunden wäre«
(pMdor % proposüo &szsfcndz) und der Nachdrücklichkeit der vorgebrachten
Bitten. »Weinend^ und laut klagend« (/lens cf czülans) habe er schließlich den

Seilschaft des frühen Mittelalters, in: Archiv für Kulturgeschichte 76 (1994), S. 1-34; Klaus
ARNOLD, Kindheit im europäischen Mittelalter, in: Zur Sozialgeschichte der Kindheit, hg. v.
Jochen Martin/Klaus Arnold (Kindheit, Jugend, Familie. Veröffentlichungen des Instituts
für Historische Anthropologie 2.4), Freiburg/München 1986, S. 443-467; Matthias WINTER,
Kindheit und Jugend im Mittelalter (Hochschulsammlung Philosophie Geschichte 6), Frei-
burg 1984; Nicholas ORME, From Childhood to Chivalry. The Education of the English Kings
and Aristocracy, 1066-1530, London 1984. Einer echten Jugendphase kam allenfalls die Aus-
bildung der Kleriker nahe, insbesondere als vom ausgehenden 12. Jahrhundert an für ihre
gebildete Spitzengruppe das Universitätsstudium zur Regel wurde. Zu den beschleunigen-
den Auswirkungen einer solchen Entwicklung auf die kulturelle Wandlungsfähigkeit einer
Gesellschaft vgl. jetzt auch die weiterführenden Überlegungen bei Judith Rieh HARRIS, Ist
Erziehung sinnlos? Die Ohnmacht der Eltern, Reinbek bei Hamburg 2000, S. 403-410.
222 In den ersten Jahren nach dem Tod Johanns ging die englische Kanzlei davon aus, daß Hein-
rich III. mit vierzehn Jahren volljährig werden würde und befristete alle Vergabungen ent-
sprechend; CARPENTER 1990, S. 123.
223 Zur Funktion des Weinens in der Öffentlichkeit vgl. Gerd ALTHOFF, Der König weint. Ritu-
elle Tränen in öffentlicher Kommunikation, in: 'Aufführung' und 'Schrift' in Mittelalter und
 
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