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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0134

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130

Kapitel II

Erzbischof gebeten, ihm einen Rat zu geben, der seinem Reich nützlich, zu-
gleich aber der königlichen Ehre nicht abträglich sei und auch den ihn er-
wartenden Baronen auf dem Festland helfe (coMSz'ÜMW, tdzh'MS cf saiM&n'MS
csscf rcgno cf fzoncsfiMs^mac rcgmc nccnon cf pn'ncz'pzLMS fmnsmanm's atfucn-
fzzm ciMS pracsfofanfffzMS mngfs cxpcdzrcf)^.
Vergleicht man den Aufwand, den Philipp in die Kriegführung mit Johann
investieren mußte, mit dem Gewinn, den er sich im Sommer 1202 erhoffen
konnte, erscheint sein Verhalten irrational: Um den Eindruck eines Angriffs-
krieges zu vermeiden und die Barone des anglo-angevinischen Festlandsbe-
sitzes auf seine Seite zu ziehen, mußte er den größten Teil der zu erobernden
Gebiete Arthur von der Bretagne überlassen. Da Arthur ihm zu Dank ver-
pflichtet war und zudem vorerst über keine Machtbasis außerhalb Frank-
reichs verfügte, wäre es zunächst sicherlich ein nicht unerheblicher Gewinn
für Philipp gewesen, Arthur an die Stelle Johanns gesetzt zu haben. Ob das
entspannte Verhältnis angedauert hätte, war allerdings fraglich, denn bei ei-
nem söhnelosen Tod Johanns wären Arthur als seinem nächsten Erben seiner-
seits England und der Festlandsbesitz zugefallen. Auch der Erwerb des nor-
mannischen Herzogtums, das sich Philipp als seinen Anteil vorbehielt, war
zunächst nur von begrenztem Nutzen: Den größten Teil der Normandie
mußte Philipp sogleich wieder ausgeben, um die fzowmcs Johanns zu entschä-
digen, die zu ihm übergelaufen waren und dafür ihren Besitz in England
verloren hatten* '. Noch weniger berechnend erscheint das Verhalten Johanns,
der den Konflikt immer weiter eskalieren ließ, obwohl ihm schon bald klar
geworden sein muß, daß er dabei Gefahr lief, seinen Festlandsbesitz zu verlie-
ren.
Die irrationale Schärfe des Konfliktes erwuchs offensichtlich nicht aus den
materiellen Kriegszielen, die Philipp und Johann verfolgten. Vielmehr ging es
beiden Seiten in erster Linie um die Wahrung ihrer Ehre. Im 12. Jahrhundert
hatten Ludwig VI. und Heinrich I., Ludwig VII. und Heinrich II., schließlich
auch Philipp II. und Richard I. sich immer wieder auf dem Verhandlungsweg
einigen können und die Grundlagen ihres Verhältnisses zueinander rüe infra-
gegestellt: Die englischen Könige hatten stets anerkannt, daß ihre Besitzungen
auf dem Festland Teil des kapetingischen mgmun Francomm waren, und da-
mit die Ehre des französischen Königtums gewahrt. Die französischen Könige
dagegen hatten stets stillschweigend darauf verzichtet, diese Herrschaft ge-
genüber den englischen Königen tatsächlich zur Geltung zu bringen, und es
so vermieden, die Ehre der englischen Könige zu verletzen, wenn sie als Her-
zoge der Normandie, Grafen von Anjou oder Herzoge von Aquitanien auf
das Festland kamen. Dieser hochmittelalterliche Weg erwies sich im Konflikt
von 1202 als nicht mehr gangbar: Die Auffassung beider Könige von der Ehre

Früher Neuzeit, hg. v. Jan-Dirk Müller (Germanistische Symposien. Berichtsbände 17), Stutt-
gart/Weimar 1996,S.239-252.
224 Radulfus de Coggeshall, Chronicon anglicanum (RS 66; ed. Stevenson), S. 153.
225 MÜSSET 1982.
 
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