Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0137

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
England und Frankreich nach 1066

133

stes, dem Interdikt, unbeeindruckt gezeigt, eine Maßnahme, die Philipp II.
1201 bereits nach wenigen Monaten zum Einlenken gebracht hatte. Gegen-
über Philipp II. weigerte sich Johann anzuerkennen, daß er ihm zurecht seine
Lehen aberkannt hatte, ja er machte sich sogar daran, die Normandie zurück-
zuerobern und damit den Erfolg zunichte zu machen, der dem französischen
König 1206 einen das Gesicht wahrenden Waffenstillstand ermöglicht hatte.
Nur durch eine weitere Eskalation des Konfliktes schien es möglich, Jo-
hann zu einer Änderung seiner Haltung zu bewegen. Wenn es gelang, die
verbreitete Vermutung, Johann Ohneland trage die Schuld am Tod seines
Neffen Arthur von der Bretagne, zu dem Vorwurf des Mordes zu verdichten,
so bot dies den englischen Baronen und den Adligen des verbliebenen Fest-
landsbesitzes ein ihre Ehre wahrendes Motiv, Johann Ohneland die Treue
aufzukündigen. Mit Aussicht auf Erfolg konnte der Papst dann Johann wegen
seiner beharrlichen Übergriffe auf kirchliche Rechte für abgesetzt erklären.
Der Vorwurf des Mordes schloß zudem Johanns Sohn Heinrich (III.) von der
Erbfolge aus, da er erst nach dem Verbrechen seines Vaters gezeugt worden
war. Als einziger nicht exkommunizierter Erbberechtigter verblieb der fran-
zösische Thronfolger Ludwig (VIII.), da er Blanche von Kastilien geheiratet
hatte, die durch ihre Mutter Eleonore eine Nichte Richards I. war. Als Kreuz-
fahrer im päpstlichen Auftrag und als legitimer Erbe Heinrichs II. ergab sich
für Ludwig damit die Perspektive, England und Frankreich zu einer westeu-
ropäischen Doppelmonarchie zu verbinden.
Diese Aussicht war keineswegs von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Die englischen Barone waren es gewohnt, daß der Interessenschwerpunkt ih-
rer Könige auf dem Festland lag. Bis zum Tod seines Vaters hätte Ludwig
(VIII.) zudem in England residiert. Wahrscheinlich hätte er versucht, die eng-
lischen Adligen, denen er sein Königtum verdankte, durch Zugeständnisse,
Vergabungen und die Rückerstattung von Lehen auf dem Festland, an sich zu
binden. Das daraus erwachsende Netzwerk von Beziehungen hätte sicherlich
auch die Übersiedlung des Hofes nach Paris überdauert und so zumindest
vorerst verhindert, daß England zur königsfernen Peripherie eines kapetingi-
schen Großreiches geworden wäre.
Ein englisches Königtum Ludwigs (VIII.) war jedoch nur dann eine inter-
essante Perspektive für die englischen Barone, wenn es vom französischen
König und vom Papst gleichermaßen unterstützt wurde. Wenn es Johann ge-
lang, den Papst auf seine Seite zu ziehen, überwog die Gefahr eines auf engli-
schem Boden ausgetragenen lang andauernden Konfliktes mit ungewissem
Ausgang.
Für die päpstliche Unterstützung seines Vorhabens war Philipp II. daher
bereit, Innozenz III. erhebliche Zugeständnisse zu machen: Während Stephen
Langton, der von Innozenz III. eingesetzte, jedoch von Johann nicht aner-
kannte Erzbischof von Canterbury, gemeinsam mit dem Bischof von Ely in
Rom die Entsendung eines Legaten erwirkten, der Johann für abgesetzt erklä-
 
Annotationen