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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0155

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England und Frankreich nach 1066

151

Dieses Modell erklärt jedoch nur die Rahmenbedingungen, nicht die Mo-
tivation der Konfliktbeteiligten. Das Ziel, territorial geschlossene Staatlichkeit
zu erreichen, wurde weder vom englischen noch vom französischen König-
tum bewußt und um seiner selbst willen verfolgt. Die sich wandelnden Vor-
stellungen von staatlicher Ordnung und königlicher Herrschaft wurden viel-
mehr in Konflikten aktualisiert, die lokale Herrschaftsträger untereinander
begannen und an ihre Könige herantrugen. Die Erwartungen, die sie an den
Schutz ihrer Ansprüche durch den König hatten, wuchsen dabei mit der in-
stitutioneilen Präsenz und juristischen Systematisierung des königlichen
Herrschaftsanspruchs. Dies aber engte den Handlungsspielraum beider Kö-
nige in wachsendem Maße ein und beschränkte ihre Möglichkeiten, im Fall
von Auseinandersetzungen Lösungen zu finden, die es beiden Seiten erlaub-
ten, das Gesicht zu wahren.
Die Ausbildung des parlement & Paris seit der Mitte des 13. Jahrhunderts
eröffnete den aquitanischen Adligen eine zusätzliche Bühne, auf der sie ihre
Konflikte austragen konnten. Zudem hatte der Vertrag von Paris zahlreiche
Adlige und geistliche Institutionen, die sich vor 1259 dem französischen Kö-
nigtum unmittelbar unterstellt hatten, von der Übergabe des Herzogtums an
Heinrich III. ausgenommen. Innerhalb des Herzogtums ergaben sich so zahl-
reiche lokale Konflikte, an denen beide Könige beteiligt waren, wenn sich eine
der Konfliktparteien mit einer Klage an ihren Herrn wandte.
Die Prozeßführung vor dem parlement & Paris wirkte in der Auseinander-
setzung aquitanischer Adliger mit ihrem Herzog zusätzlich konfliktverschär-
fend, da sie den englischen König und seine aquitanischen Barone als Pro-
zeßparteien (und der Gerichtsbarkeit des französischen Königs Unterworfe-
ne) auf eine Stufe stellte. Anders als persönliche Begegnungen der Herrscher,
bei denen die freundschaftliche Gleichrangigkeit beider Könige deutlich wur-
de, betonte die Prozeßsituation die durch das Lehensverhältnis begründete
Ungleichrangigkeit (und damit den potentiell konfliktträchtigen Aspekt der
Beziehung).
Die aquitanischen Barone nutzten die öffentliche Bühne, die ihnen das
parlement de Paris für die Austragung ihrer Konflikte mit ihrem Herzog bot,
gelegentlich sogar zu Provokationen, die den englischen König unmittelbar
und nicht nur seine Amts träger auf dem Festland trafen: 1273 forderte einer
der führenden aquitanischen Barone, Gaston de Bearn, Eduard I. vor dem
Parlament da Paris als prodifor et^alsas et inajnns iadex zum Zweikampf heraus,
indem er erklärte, er sei bereit »persönlich mit ihm zu kämpfen und so seine
Vorwürfe zu beweisen« (paod paratas erat pagaara cam ipso personaliter et prot>a-
re otdecfa). Explizit lehnte er es ab, gegen einen der Barone zu kämpfen, die
sich bereiterklärten, für ihren König den Zweikampf zu bestehen^". Obwohl

280 Odo Rigaudus, Visitationes (RHF 21; ed. Bouquet/Delisle), S. 784. Ebenso wie 1201, als Jo-
hann Ohneland Vorbereitungen traf, die Verbündeten der Lusignans zum gerichtlichen
Zweikampf mit Berufskämpfern zu fordern, bleibt auch hier unklar, ob der Vorwurf des
»Verrats« und die darausfolgende Herausforderung zum Zweikampf ernst gemeint war
oder lediglich eine symbolische Provokation, mit deren Ablehnung man rechnete.
 
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