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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0265

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Akt von St-Clair-sur-Epte

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tretenen Skandinavier in der Normandie und England ihre Sonderstellung
und ihre Brückenfunktion als Vermittler zwischen der christlichen Mitte des
Kontinents und seinem heidnischen Norden.
Sprachlich weitgehend romanisiert und von ihren Herkunftsgebieten ab-
geschnitten, konnten sich die normannischen Adligen der dritten und vierten
Generation nicht mehr als skandinavische Krieger in fränkischer Umgebung
begreifen, sondern mußten sich eine neue Identität als eigenständige Gruppe
im Verband des westfränkischen Reiches schaffen*".
Im Schnittpunkt beider Entwicklungen stand der Hof des Herzogs. Dudo
von St-Quentin sah sich damit vor die Aufgabe gestellt, die Geschichte der
Normannen einerseits als Teil der fränkischen Geschichte darzustellen, ande-
rerseits aber ihre nur aus ihrer skandinavischen Herkunft ableitbare Eigen-
ständigkeit gegenüber den Franken deutlich hervortreten zu lassen.

5. Maskulinität in fränkischen Strukturen.
Die Narrativierung der in der Darstellung
Dudos von St-Quentin
Wie ist Dudo in seiner Darstellung des »Aktes von St-Clair-sur-Epte« mit die-
ser doppelten Herausforderung umgegangen? In der amerikanischen For-
schung der letzten anderthalb Jahrzehnte ist kontrovers diskutiert worden,
welches Leitmotiv Dudo seiner Darstellung der normannischen Geschichte
zugrundegelegt hat: von hagiographischer Stilisierung des herzoglichen Hau-
ses bis zu historiographischer Begründung der Erblichkeit des Herzogsamtes,
von der Frankisierung der ursprünglich barbarischen Normannen bis zur in-
nernormannischen Abwehr konkurrierender Herrschaftsansprüche der An-
führer der zweiten skandinavischen Einwanderungswelle um 966 reicht das
Spektrum der Vorschläge.
Gänzlich außer Betracht geblieben ist dagegen, welche Rolle unterschiedli-
che Konstruktionen von Männlichkeit im Werk Dudos von St-Quentin spie-
len. Bereits eine einfache Wortfrequenzanalyse mit Hilfe der digitalisierten
Patrologia Latina zeigt jedoch, daß Dudo der vorhandenen oder fehlenden
Maskulinität seiner Protagonisten besondere Aufmerksamkeit schenkt: Fünf-
mal verwendet er allein das Wort das in keinem anderen historio-
graphischen Text des Früh- und Hochmittelalters mit vergleichbarer Häufig-

49 Cassandra POTTS, 'Atque unum ex diversis gentibus effecit'. Historical Tradition and the
Norman Identity, in: Anglo-Norman Studies 18 (1995), S. 139—152, umschreibt den von ihr
vermuteten »conflict at the heart of Norman identity« mit den Worten »fear of not fitting in
co-existed and conflicted with the fear of fitting in too well«. Zurecht weist CHRISTIANSEN
1998, S. XXIX, darauf hin, daß wir außer Dudo keine Quellen zu dieser Frage besitzen. Zu
skeptisch ist jedoch seine Schlußfolgerung, »(that) the tenth-century Norman consciousness
remams a closed book; and this (= Dudo's) open one reveals the mind of Dudo, not the
Norman identity crisis, if there ever was one«.
 
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