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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0299

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Gleichrangigkeit in der Unterordnung

295

wurden metaphorische Gesten, die eindrucksvoller und weniger differenziert
waren als die Sprache der Worte, zum maßgeblichen Code für langfristige
Vereinbarungen. Vom Ende des 12. Jahrhunderts an wurden Absprachen je-
doch mehr und mehr in schriftlicher Form festgehalten, ausgehandelt und
interpretiert durch juristisch gebildete Berater, die das an den hohen Schulen
und Universitäten gelehrte systematische Rechtsdenken in die politische und
administrative Praxis einführten.
Im Verlauf dieser Entwicklung gliederte sich stärker als zuvor das Recht
als eine eigene abgegrenzte Sphäre aus dem weiten Bereich der sozialen
Normen aus. Einige tradierte Rituale wurden Teil dieser rechtlichen Sphäre.
Sie verloren ihre Ambiguität und wurden zu rechtssymbolischen Handlun-
gen, die eindeutig auf einen bestimmten Rechtsbegriff verwiesen". Dafür be-
hielten und verstärkten sie ihre Kraft, statusändernd zu wirken, d.h. eine
dauerhafte Änderung bestehender Zustände zu bewirken.
Entsprechend wurden die übrigen Rituale zu Zeremonien und Gesten, de-
nen keine rechtliche Bedeutung zukam, da ihnen die statusändernde Kraft
rechtssymbolischer Handlungen fehlte. Dafür jedoch behielten sie ihre Mehr-
deutigkeit und so die Kraft, sozialen Konsens auszudrücken, zu veranschauli-
chen und sogar herbeizuführen''.
Die begriffliche Unterscheidung zwischen »Ritual«, »Zeremoniell« und
»rechtssymbolischer Handlung« ist kaum unabhängig von der Fragestellung
einer historischen Untersuchung festzulegen. Die gegenwärtige ethnologische

22 Auf die Bedeutung dieses Wandels für das Verständnis mittelalterlicher Rituale hat - mit
anderer Erklärung und entsprechend früherem zeitlichem Ansatz - bereits vor einigen Jah-
ren Hagen Keller am Beispiel der Investitur hingewiesen; Hagen KELLER, Die Investitur. Ein
Beitrag zum Problem der ,Staatssymbolik' im Hochmittelalter, in: Frühmittelalterliche Studi-
en 27 (1993), S. 51-86, S. 82: »Seit dem 12. Jahrhundert breitet sich etwas aus, was auch die
Annäherung der modernen Forschung an die Problematik meist bestimmt hat: die Suche
nach präziser Begrifflichkeit, nach einem eindeutigen, oft: dem rechtlichen , Gehalt' von
Symbolhandlungen - jede trägt ihren Sinn, mit ableitbaren Konsequenzen. So wurde die ze-
remonielle Übergabe von Herrschafts- und Rangzeichen zu einer symbolhaften Rechts-
handlung .... Würde man die Semantik der Gebärden, wie sie in den Traktaten des 12. und
13. Jahrhunderts dargelegt wird, mit den Erläuterungen des mystischen Sinns bei karolingi-
schen Autoren vergleichen, ließe sich wohl die gleiche Veränderung aufzeigen - nur ein
weiterer Beweis dafür, daß das neue Verständnis der Investitur unmittelbar in die großen
geistigen Veränderungen der Zeit um 1100 gehört. Doch blicken wir zurück in die Zeit da-
vor, so geht es nicht um begriffliche Eindeutigkeit, sondern eher um das Gegenteil: um die
Anschaulichkeit und Eindringlichkeit der repraeseuUho.«
23 Für die Erforschung symbolischer Kommunikation im Spätmittelalter ist diese Differenzie-
rung grundlegend. Die Bedeutung des Unterschieds zwischen »Ritual« und »Zeremoniell« -
ersteres bewirkt Änderung und Transformation, letzteres nicht - betont auch Jean-Marie
Moeglin: »J'utilise le terme de ,ritueT et non pas celui de ,ceremonie'. Un rituel est en effet,
au sens anthropologique du terme, Taccomplissement par un individu ou un groupe
d'individus d'une sequence de gestes et de rites qui provoque une transformation, produit
un effet. ... Une ceremonie en revanche est Taccomplissement ... d'une sequence de gestes
gräce ä laquelle il met en scene le fait de posseder un Statut et d'en revendiquer toutes les
prerogatives«; Jean-Marie MOEGLIN, Penitence publique et amende honorable au Moyen
Äge, in: Revue historique 298 (1997), S. 225-269, S. 226 f. Als Beispiele für Rituale nennt
Moeglin Ritterschlag, Krönung, Salbung und Begräbnis; für Zeremonien den Einzug eines
Herrschers in eine Stadt oder das Ef de ftisEce.
 
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