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Nolte, Cordula; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Familie, Hof und Herrschaft: das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 11: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34725#0067

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Die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach

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schichtlicher Sicht erscheint sein Verhalten als »familiärer Egoismus« im Ge-
gensatz zu einem auf die Agnaten gerichteten Gesamthausbewußtsein, wäh-
rend es aus soziobiologischer Perspektive überaus plausibel ist, daß er bevor-
zugt in die Kinder seiner Schwester investierte."

4.1. Das Beziehungsgefüge: Rollen, Emotionen, Haltungen
Im Anschluß an die Überlegungen zu sozialen Rollen im letzten Kapitel stellt
sich die Frage, ob das familiale Beziehungsnetz im wesentlichen als ein Gefü-
ge von Rollen anzusehen ist, die funktional, hierarchisch und zugleich kom-
plementär aufeinander bezogen waren, oder ob es jenseits davon andere Be-
reiche gab, in denen sich die Angehörigen »eigentlich« begegneten.'" Wo et-
wa ist das Emotionale zu anzusiedeln, für das sich die Familienforschung na-
turgemäß besonders interessiert? Zeitweilig stand zur Debatte, ob die strikte
Ordnung der Adelsfamilie überhaupt Raum für Emotionen und die Entwick-
lung emotionaler Beziehungen zuließ.'" Gegenüber einem solch dichotomi-
schen Denken - hier die Herrschafts- und Familienziele, dort die Gefühlsbin-
dungen - brachte Roger Sabloniers Studie über die aragonesische Königsfa-
milie einen entscheidenden Fortschritt.'" Sablonier arbeitete die Verschrän-
kung zwischen Emotionen und »sachlich-materiellen Anforderungen« heraus
und zeigte den sachlich-funktionalen Bezugsrahmen von emotionalen Bin-
dungen, affektivem Erleben und Gefühlen auf.
Inzwischen wird nicht mehr bestritten, daß die Mitglieder adliger Familien
einander emotional verbunden waren. Jedoch wirkt die Auffassung weiter, es
handle sich bei allgemeinem Rollenverhalten und individuellen emotionalen
Beziehungen um getrennte Ebenen.'" Gelegentlich wird dabei auch auf die
»Echtheit« der Emotionen abgehoben'", womit implizit demgegenüber Rol-
lenverhalten als etwas weniger »Authentisches« erscheint.'"' Anknüpfend an

134 Vgl. SPIESS, Familie, S. 337ff., zum Erbrecht bzw. Erbverzicht von Töchtern als aussagekräfti-
gem »Indikator für den Fortschritt des Hausdenkens«. WEINFURTER, Einheit, v. a. S. 227ff.,
zum Gesamthausbewußtsein von Georgs Vetter Albrecht IV. von Bayern-München. Vgl. zur
Bereitschaft von Männern, in die Kinder ihrer Schwestern zu investieren, VOGEL, Rolle,
S. 157f.
135 LUCKMANN, Jenseits. Vgl. zum folgenden auch NOLTE, Weib, S. 33f.
136 Vgl. zur Forschung SPIESS, Familie, S. 476f.
137 SABLONIER, Königsfamilie.
138 Vgl. die separate Behandlung von »Rollenverhalten« und »emotionalen Beziehungen« bei
SPIESS, Familie, S. 454ff. ROGGE, Muterliche liebe [...], S. 220, 233, 235, 239, unterstreicht die
Verknüpfung von persönlichen Emotionen, Funktionen der Herrschaftsrepräsentation, fami-
lialen Rollen.
139 SEYBOTH, Testament, S. 103, zur Rolle Kurfürstin Annas als fürstliche Ehefrau und zu ihrer
»durch echte Zuneigung und Harmonie« geprägten Ehe mit Kurfürst Albrecht.
140 Die Frage der »Echtheit« bzw. nach dem Verhältnis von individueller Emotionalität und
Konventionalität wurde auch im Zusammenhang mit rituellem Verhalten aufgeworfen, vgl.
ALTHOFF, König, S. 239, sowie BORGOLTE, König, und KOZIOL, Pardon, S. 320. - Zu Expressi-
vität und Authentizität ist nach wie vor Richard Sennetts brillante Studie über »Verfall und
Ende des öffentlichen Lebens« zu lesen (vgl. besonders das Kapitel »Rollen«, S. 44ff.), ferner
 
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