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Nolte, Cordula; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Familie, Hof und Herrschaft: das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 11: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34725#0333

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Rede und Schrift

329

1.2. Gesprochene Sprache in der Schriftsprache.
Zum Sprechbezug von Briefen
Die gesprochene und die geschriebene Sprache sind Äußerungsformen, die
beide je nach Situation mehr oder weniger »sprechbezogen« oder »schreibbe-
zogen« sind.'' Ein Schriftstück kann im »Duktus der Mündlichkeit« verfaßt
und eine Rede im »Duktus der Schriftlichkeit« vorgetragen werdend
Versucht man, Briefe hinsichtlich ihrer Nähe zur gesprochenen Sprache
einzuordnen und somit genauere Kenntnis über schriftlich-mündliche Kom-
munikationsvorgänge zu erhalten, so steht man vor dem altbekannten Pro-
blem, daß vergangene Sprachwirklichkeit vor der Erfindung von Tonträgern
ausschließlich anhand von Geschriebenem erschlossen werden kann.'" Die
Schreibsprache ist jedoch gewöhnlich keine Transkription oder Abbildung
von Sprechsprache." Eine Rekonstruktion des ursprünglich Gesprochenen,
wie es vor der überformenden Transponierung in die Schrift lautete, ist daher
selten möglich." Nur einzelne Momente und Merkmale der Sprechsprache
werden greifbar.
Die Textgattung »Brief« wirft in diesem Zusammenhang eigene Probleme
auf. Auch wenn Briefe in der Fernkommunikation unter anderem als Ge-
sprächsersatz fungieren, gelegentlich sogar körperliche Präsenz simulieren
und eine Form des »Besuchs« darstellen", können sie nur bedingt den Duktus
der Mündlichkeit beibehalten, da ihnen wesentliche redebegleitende Aus-
drucksmittel der face-to-face-Kommunikation (Gestik, Mimik, Intonation,
Lautstärke) abgehen, ihre Syntax anders strukturiert ist (Orientierung eher an
Hypotaxe statt an Parataxe, Entfall von Ellipsen und syntaktisch nicht ge-

91 KOCH/OESTERREICHER, Sprache, S. 17-19, zur Unterscheidung von gesprochener und ge-
schriebener Sprache hinsichtlich des Mediums (Dichotomie von phonischem und graphi-
schem Kode) und der Konzeption (zahlreiche Abstufungen innerhalb eines »Kontinuums
von Konzeptionsmöglichkeiten«). Vgl. den Forschungsüberblick bei HEINZE, Deutsch, S. 10-
22.
92 Grundlegend zur Schriftlichkeit im Duktus der Mündlichkeit und zur Mündlichkeit im Duk-
tus der Schriftlichkeit sind Brigitte Schlieben-Langes Studien. Vgl. etwa SCHLIEß EN-LANGE,
Traditionen, S. 81. Weitere ihrer Arbeiten bei KOCH/OBSTERREICHER, Sprache.
93 Vgl. BREMER, Verhältnis, S. 1379ff., zu frühneuhochdeutscher schriftlicher und mündlicher
Sprache und Kommunikation sowie zum Problem der Rekonstruktion der Sprachwirklich-
keit jenes Zeitraums.
94 BESCH, Entstehung, S. 1789. BURKE, Introduction, S. 9. GROSSE, Oralität, S. 9.
95 Eine besonders aufschlußreiche Textsorte sind Protokolle. Vgl. MlHM, Textsorte Gerichtspro-
tokoll. HEINZE, Deutsch (Aufzeichnungen von Bundestagsreden). BURKE, Introduction, S. 10,
zu Inquisitionsprotokollen. Vgl. exemplarisch das im Auftrag Markgraf Friedrichs verfaßte
Protokoll über einen heftigen Streit zwischen dem Markgrafen und Apel von Seckendorf
beim Glücksspiel auf der Jerusalem-Pilgerfahrt (Aufzeichnung vom Tag des Vorfalls, be-
glaubigt am 2. Sept. 1482). GStAB, BPH, Rep. 411C 1, Bl. 1-3,4-5.
96 Albrecht von Preußen schrieb seinem Bruder Georg, er wolle ihn »mit vnnsernn schrifftenn
zu besuchenn nit vntherlassenn«. 2. Dez. 1536. GStAB, BPH, Rep. 41IV J Lit. B 4, Bl. 36. Do-
rothea von Preußen schrieb ihrem Mann auf die Mitteilung, er habe ihren (eigenhändigen)
Brief geküßt und ins Bett mitgenommen, sie hätte lieber anstelle des Briefs bei ihm geschla-
fen. 2. Febr. 1535, hier nach GUNDERMANN, Herzogin Dorothea, S. 178. FOUQUET, Fürsten,
S. 171. TEUSCHER, Privatbriefe, S. 383f., schränkt zu Recht generelle Thesen über Briefe als
Gesprächsersatz ein.
 
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