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Nolte, Cordula; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Familie, Hof und Herrschaft: das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 11: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34725#0318

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314

Kapitel E

betraf. Sowohl mündliche als auch schriftliche Kommunikation waren nach
formalen Prinzipien geordnet. Rhetorikanleitungen lehrten gleichermaßen
»sendbrief machen, auch höflich reden« (so Friedrich von Nürnberg), wobei
nicht immer eindeutig war, ob es bei der Rede um das Sprechen oder Schrei-
ben ging/ Der Begriff »Reden« stand für beides, man »redete« schriftlich
ebenso wie mündlich. Selbst Redeweisen, die eigentlich nur in den Bereich
mündlicher Interaktion, ins persönliche Gespräch von Angesicht zu Ange-
sicht, gehörten, konnten mit entsprechenden Kautelen im Brief geführt wer-
den, zum Beispiel sogenannte »gesellen reden«, das heißt vertraulich-offene,
nicht fürs Protokoll bestimmte Äußerungen (meist über brisante Angelegen-
heiten) in entspannter Atmosphäre. Was an Schriftlichem aus der Zeit um
1500 überliefert ist, stellt trotz seiner Fülle nur einen Bruchteil der
abgelaufenen sprachlichen Kommunikationsprozesse dar - dies ist, so
selbstverständlich es erscheint, noch einmal ausdrücklich festzustellerG
Geschriebenes ist gleichzeitig der einzige Schlüssel zu jenen Vorgängen.
Damit erheben sich Fragen, »was überhaupt verschriftlicht worden ist«", und
wie das Nichtverschriftlichte durch die Schrift faßbar werden kann. Welchen
Gebrauch machten die Zeitgenossen von der Schrift, und wie können wir ihn
in die Sprachwirklichkeit einordnen? In unserem Fall heißt das zu erkunden,
was schriftliche Dokumente und ihre Nutzung über die Familien- und
Verwandtschaftsbeziehungen preisgeben.
1.1. Die Ambivalenz der Schrift
Die Schrift ist ihrem Wesen nach auf Dauer angelegt. ° Ihre darin begründete
Verfügbarkeit machte sie in den Augen der Benutzer wertvoll und problema-

6 BODEMANN/GRUBMÜLLER, Anleitung, S. 179f., zu Friedrichs von Nürnberg »Deutscher Rhe-
torik«, zu Friedrich Riederers »Spiegel der warn Rhetoric« und zur 18. »Translatze« des Nic-
las von Wyle, der immerhin terminologisch zwischen »oratz«, »red« und »schrifft« unter-
scheidet. Friedrich von Nürnberg meint meines Erachtens mit »höflich reden« (Substantiv
im Plural) die schriftliche Sprachform. Vgl. den Teildruck bei JOACHIMSOHN, Vorgeschichte,
S. 55, 63, 66. Vgl. auch weiter unten S. 331f.
7 Hier je ein Beispiel für mündliche und schriftliche Gesellenreden: Kurfürst Albrecht wies
seine Räte an, sie sollten sich bei der Hochzeit seines Sohns Johann mit dem Vater der Braut
über die Morgengabe einigen »in geheym also on befelh in einer gesellenred reden des
nachts am tanz«. (1476). PC 2, Nr. 238, Anm. 3, S. 254. Albrecht schrieb an Hertnidt vom
Stein über das gespannte Verhältnis zu den Wittelsbachern, sein Sohn Markgraf Johann trü-
ge Herzog Otto »mit einem arm zu einer thur hinauß, so sie alleint beieinander wem. wolt er
sein nit geraten, slüge im die haut vol darzu. das schreiben wir in gesellen reden.« 5. Juni
1485. PC 3, Nr. 1079, S. 398. Ein derartiges verbales Muskelspiel durfte aus diplomatischen
Gründen nicht nach außen dringen.
8 NIES, Osmosen, S. 210, empfiehlt Historikern wie Literarhistorikern, »Geschriebenes und
Gedrucktes der Frühen Neuzeit zu sehen als Momentaufnahmen eines noch stark von
Mündlichkeit geprägten Kommunikationsprozesses.«
9 SABLONIER, Schriftlichkeit, S. 76.
10 SCHAEFER, Vokalität, S. 8, Anm. 5, gibt Oswald Spenglers Diktum wieder, die Schrift sei »das
große Symbol der Ferne, also nicht nur der Weite, sondern auch und vor allem der Dauer,
der Zukunft, des Willens zur Ewigkeit.« Die im Einzelfall angestrebte Dauer mag durchaus
kurzfristig sein. Vgl. VON MOOS, Mündlichkeit, S. 316, im Zusammenhang mit der Feststel-
lung: »Alle Medien, die textuelle Botschaften anders als in unmittelbarer mündlicher Inter-
aktion transportieren [...] sind Formen des Gedächtnisses.«
 
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