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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0085

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84

B. Polnische Reichsversammlungen

folge hatten die Krakauer Herren auf dem kleinpolnischen Provinziallandtag
im Mai 1459 beschlossen, zur Verbesserung der Lage des Reichs eine allge-
meine Versammlung abzuhalten und gegen den Willen des Königs schließlich
durchgesetzt.^ Die am Sejm beteiligten Adeligen begriffen sich also als Wahrer
und Schützer des Königreichs, und deshalb war der Sejm als allgemeine Zu-
sammenkunft in ihren Augen auch das geeignete Forum, um gemeinsam über
die Belange des Reichs zu entscheiden. Dieser Anspruch prägte zunehmend
auch die Gestaltung der Beschlüsse, die zum Ende der Versammlung vom Kö-
nig veröffentlicht wurden. Unter Kazimierz IV. erschienen diese Beschlüsse in
Form königlicher Dekrete oder Statuten und enthielten lediglich Verweise auf
gemeinsame Beratungen mit Prälaten und Baronen. Gegen Ende des 15. Jahr-
hunderts wurde die Beteiligung mehrerer Akteure an den Entscheidungs-
prozessen in den Konstitutionen dokumentiert und damit auch ein Bewusst-
sein von gemeinschaftlichen Vereinbarungen für das Reich ausgedrückt.^ Die-
se Vorstellung diente zugleich als Grundlage für ein körperschaftliches Ver-
ständnis des Reichs. So entschieden die Stände des Sejms, der Senat und die
Kammer der Landboten, die sich seit den 1490er Jahren in den Quellen belegen
lassen, nicht nur gemeinsam mit dem König über die Geschicke des Reichs,
sondern repräsentierten es auch gemeinsam - im Rahmen des Sejms trat das
Reich gleichermaßen zusammen/ ^
Neben dem Schutz des Königreichs wurde die Herstellung und Wahrung
von Gerechtigkeit von den Zeitgenossen als zweiter wesentlicher Aufgabenbe-
reich der Versammlung angesehen. Wurden im Rahmen des Sejms mitunter
auch gerichtliche Beratungen abgehalten/^ so galt die Reichsversammlung vor

224 Annales seu cronicae XII, S. 326. Kazimierz IV. nahm indes immerhin Einfluss auf die Ter-
minierung. Der Sejm fand nicht dem Willen der Krakauer entsprechend im Juni, sondern im
September 1459 statt. Vgl. dazu auch EALKOwsKi, Rok trzech sejmöw, S. 432.
225 Vgl. z.B. den Beschluss der Zapfensteuer, der 1490 veröffentlicht wurde: SerenlsslaiHS domlnas
Razlmlrns, De; gratta rer Polontae etc., omnlnm Regn; totlns Iwronnm et consdlarlorMm, notdllMM et
terrtgenarMM MnloersorMm Mnanlmo consensn, daldta matnra detllvratlone tarn In dleta PtotAoutens;
general;, pnam in conuentioniiws particninriiiMS terrarnm ... trllmtnrn, daclam ... sotoendam decreuit
et tnstttntt (CE 1,2, Nr. 255, S. 304).
226 Als Markstein in der Entwicklung dieses Körperschaftsverständnisses gilt die Formulierung,
mit der Jan Olbracht 1496 die »Privilegien von Nieszawa« bestätigte: Nos Johannes ADertns De;
gratta Rex Poioniae, conunnn; et dintnrna consnitatione praemlssa, cnm praeiatis, i;aron;'i;MS, noMt-
i;ns, terrammpne nnntn's ac snMitis nnioersis sptrttnaldiMS et saecniarilws, in i;ac General; Conoen-
tionePpotAoMiensiexistentiiws corpns einsdew Regn; CMmpiena /äcnitatealisentiMmreprae-
sentantAns ... decreuimns [Eigene Hervorhebung]. Art. 35 der Statuten von Jan Olbracht, in:
Volumina Constitutionum 1,1, S. 67. Vgl. dazu auch GRODzisKi, Wst§p, S. 31-34.
227 Neben Einzelfällen, die dem König im Rahmen der Versammlung vorgetragen wurden, wur-
den auch juristische Streitfälle, die von überregionalem Belang waren, auf dem Sejm verhan-
delt. Die Versammlung - und nicht allein das königliche Gericht - galt dann offenbar als ober-
ste Instanz<. Als Kazimierz IV. 1462 selbst den Rechtsstreit zwischen dem Krakauer Kastellan
Jan T^czynski und den Krakauer Ratsherren auf den Sejm vertagte, teilte er dies allen Amt-
leuten des Landes unter der Maßgabe mit, dass niemand sich des Falls annehmen, sondern
ihn unbedingt dem Sejm überlassen solle (sed dletas cansas enm dnlHsmod;' earnm emergeneps et
condependentAns nnlnersls tnxta pre/ätornm nostrornm Pretatornm et Baronnm decretnrn ac con-
sdlnm ad ConnenctoneM generalem proxlmam Pi/otAounensem snspendatts, prorogetts et d%?erat;s.
Schreiben vom 16. August, in: KDK, Nr. 173, S. 245).
 
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