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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Rüttenauer, Benno: Vom Bamberger Dom und seinen Skulpturen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0119

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Gedankenausdrucks zuliebe, angenommen und
durchgeführt; noch viel mehr mag der dekorativ
schwungvolle Rythmus der Linien, den ihm diese
Kompositionsweise nahe legte, den Ausschlag ge-
geben haben. Noch aus einem Grunde wundere ich
mich, dass Weese an diesem Punkt zu keiner andern
Auffassung gelangt ist. Er lässt doch selber den
Künstler nicht als fertigen Meister in Bamberg vom
Himmel fallen oder sonst woher kommen. Er
konstatiert eine Entwicklung. Mit feinem Gefühl
hat er erkannt, dass die Apostel und der hl. Michael,
auf der südlichen Seite des Georgenthors, lange
nicht auf gleicher Höhe stehen wie die Propheten
und das Verkündigungsbild auf der Nordseite. Und
er nimmt an, dass die Kunst des Meisters in einem
stetigen Fortschritt begriffen war, d. h. dass sie von
Figur zu Figur der Forderung nach Lebenswahr-
heit und Ausdruck in immer weiterem Masse ge-
recht zu werden bestrebt ist und das Vermögen
dazu immer höher ausbildet. Ich meine diese Ent-
wicklung kann schon am Fürstenportal ihren Anfang
genommen haben. Das ist um so wahrscheinlicher,
als das Portal an sich jedenfalls früher fertig ge-
stellt war als die Thorschranken.
* *
*
Weeses Abhandlung erstreckt sich auch auf die
Bamberger Skulpturen gotischen Stils. Und wie
er jene in Zusammenhang mit Süd-Frankreich bringt,
so diese mit der Champagne, mit Reims. Seine
Gründe sind hier so einleuchtend wie dort. Auch
hier wieder weiss er der hohen Bedeutung der be-
sprochenen Werke vollauf gerecht zu werden. Er
hat mehr für sie als das kalte Betasten des Ge-
lehrten. Er nähert sich ihnen mit der Hingabe und
Begeisterung eines künstlerisch empfänglichen
Menschen. Nur macht ihn seine hohe Begeisterung
für die Werke des ältern gotischen Stils mindest etwas
ungerecht gegen spätere Leistungen. Die Reiniger
des Doms haben im Langschiff, das sie so kahl
ausräumten, zwei Grabmonumente aus dem XIV.
Jahrhundert verschont. Das eine ist das Grabmal
des Bischofs Grafen Friedrich von Hohenlohe. Nun
das ist ein tief ergreifendes Werk. Ich stehe nicht
an, es ersten Ranges zu nennen. Man muss es
aber innerhalb seiner Gattung beurteilen. Denn,
was es ist, das will es sein, ein Bildnis, ein persön-
liches Abbild. Man wird im höchsten Grad unge-
recht gegen ein solches Werk, wenn man es mit
monumentalen Idealfiguren und noch dazu eines
viel ältern Stils in Vergleichung bringt. Beide stehen
unter ganz verschiedenen Gesetzen. Was bei dem
einen ein Vorzug ist, kann beim andern ein Fehler
und Mangel sein. Es hätte keinen Sinn, jenen Ideal-
statuen einen Vorwurf daraus zu machen (Weese
thut es gelegentlich), dass sie den letzten Grad
individuellen Gepräges entbehren und dafür eine
gleichmässige feierliche Würde zur Schau tragen.
Das eben ist ihr Stil. Sie wären in ihrem Wesen
vernichtet, wenn sie über die ihnen gesteckte
Grenze, Stilgrenze, hinausgingen.
Und ebenso ungerecht wäre es, wenn man von
diesem „steinernen Mann“ jeneWürde und Feierlich-

keit verlangen wollte. Er braucht sie nicht, obwohl
er ein Fürst und Bischof ist. Er offenbart uns
dafür seine Persönlichkeit bis ins Innerste hinein.
Sein ganzes geistiges Wesen spricht er aus. Das
ist doch wohl ein Ersatz. Die Vergeistigung ist
in diesem Steinbild bis zu einem Grad getrieben,
und nicht nur im Kopf, sondern über den ganzen
Körper; so sehr ist der Stein Geist geworden, dass
man sich nur wundern muss, wie ein solches Leben
durch Jahrhunderte hindurch dauern konnte, ohne
im Geringsten etwas von sich einzubüssen. An
diesem seltenen, man möchte sagen einzigen
gotischen Bild, geht Weese fast mit Achselzucken
vorüber. Seine Realistik erkennt er an. Das Gesicht
wirke fast wie eine Larve. Nein, Herr, nicht als
Larve wirkt es, sondern lebendiger als lebendigstes
Leben.
Muss denn der Mensch, indem er mit staunender
Bewunderung hier eine Vollkommenheit begreift,
dafür immer wieder für andere blind sein?
Ich möchte aber nicht missverstanden werden.
Im ganzen hat Weese recht, wenn er konstatiert,
dass zwischen der Blüte der französischen Gotik im
XIII. und der Blüte der deutschen Gotik im XIV. Jahr-
hundert ein ungeheuerer Abstand zu gunsten der
französischen besteht, so gross, dass man die Bam-
berger Skulpturen, die mit der frühen französischen
übereinstimmen, bis auf die jüngste Zeit herunter
gar nicht als gotisch erkannt hat. Die Stelle, die
das ausführt, ist eine Glanzleistung des Buches.
* *
*
Noch eine Schlussbemerkung. Die Gotik wurde
von der deutschen Wissenschaft lange als spezifisch
deutscher Stil in Anspruch genommen. Diese
Prätention hat man aufgegeben. Wir begreifen
heute schon gar nicht mehr, wie man sie einmal
haben konnte. Ein eklatanter Beweis für diesen
Umschlag ist auch das Weese’sche Buch. Mit einer
Wärme, deren allerdings in solcher Sache nur ein
Deutscher fähig ist, spricht er von der glücklichen
Initiative und weltbeherrschenden Ueberlegenheit
der Franzosen zur Zeit der Gotik, die sich nicht
nur auf Bauwesen und Skulptur erstreckte, sondern
in Literatur und Dichtung eher noch grösser war.
Und bekanntlich gibt es noch andere Jahr-
hunderte, von denen das Gleiche gilt. Wir ver-
mögen hier bis zu einem hohen Grad gerecht zu
sein, das ist sicher eine Tugend. Und doch ist
es auch eine Schwäche. Was nützt alle Objek-
tivität der Erkenntnis ohne starkes subjektives Ver-
mögen? Was alle Wissenschaft, wenn man sich
keine „Lehre“ daraus ziehen kann! Gerade eben
wieder sehe ich die guten Deutschen die Hände
überm Kopf zusammenschlagen, weil sie hören,
dass es in der Bretagne noch Dorfkinder gibt, die
nur bretonisch können. Es wird also nie der Tag
kommen, wo der verdammte deutsche Geistes-
demokratismus begreifen wird, dass die geistige
Weltherrschaft einer Nation wahrlich von andern
Faktoren bedingt ist als von der sogenannten all-
gemeinen Schulbildung, vom Lesen- und Schreiben-
können jeder Dorfrotznase.
 
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