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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Haenel, Erich: Der neue "Meister des Hausbuches" in der Dresdner Galerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0210

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Zahl der bis jetzt sicher gestellten Werke des Haus-
buchmeisters, der Gedanke auch daran, dass das
deutsche 15. Jahrhundert wohl die schmerzlichste
Lücke in der Dresdner Sammlung darstellt, müssen
auch den Preis von 1OOOO Mk. als angemessen er-
scheinen lassen. In der Komposition zeigt sich
noch kein besonderes Abweichen von den Gesetzen
der Ueberlieferung. Das leere Kreuz zerschneidet
das Bild in zwei Hälften; seine etwas anspruchsvolle
breite Vertikale wird im unteren Teil von der
Gestalt Mariae verdeckt, die sich betend über den
starren Leichnam des Herrn beugt. Die Gruppe
vervollständigen die knieenden Figuren Johannes,
rechts und einer Magd links. Letzterer schliessen
sich drei eng zusammengerückte stehende Frauen
an, während rechts hinten zwei Männer, Joseph
von Arimathia und Nikodemus, mehr neutral, mit
ihren persönlichen Empfindungen beschäftigt sind.
Die in erheblich kleinerem Massstab gehaltenen
Adoranten, der Stifter merkwürdigerweise links
bei den Frauen, sein Weib rechts auf der Männer-
seite, treten auch für die farbige Komposition ganz
zurück. Das Kolorit ist ziemlich warm und kräftig:
den Hauptakkord bestimmen Mariaes weiter blauer
Mantel und das Weiss des Leichentuches, das
grüne Ueberkleid der knieenden Magd und der
rote Rock des Johannes. Im Hintergrund trifft der
Blick rechts die geöffnete Grabkammer, links, in
bergigem Gelände, die Stadt Jerusalem, deren
Tore drei Henkersknechte, groteske lebhaft bewegte
Burschen, zueilen. Der Künstler hat sich lebhaft
bemüht, den orientalischen Charakter der Architektur
zu wahren: doch ist er trotz der flachen Dächer
und eines, vom Halbmond kühn gekrönten Kuppel-
baus nicht über das übliche Phantasieromanisch
der Zeit hinausgekommen. Die Landschaft mit
mit den gut durchgebildeten Baumgruppen zeigt
dagegen ein tüchtiges und durchaus nicht natur-
fremdes Können.
Den psychologisch bemerkenswerten Grundzug
in der künstlerischen Phantasie des Stechers von

1480, die wunderbare Vertiefung des individuellen
Ausdrucks z. B. in dem herrlichen Blatt „Der Tod
und der Jüngling“, dann die dort durch zartesten
Gebrauch der Nadel erzielte malerische Weichheit
der Modellierung, wird man auch in unserer
Schöpfung nicht vergeblich suchen. Den Höhe-
punkt der Fähigkeit, seelische Bewegungfestzuhalten
und zu erregen, erreicht er in dem Kopf und Leib
Christi selbst. Hier tritt auch die eigenartige
Modellierung des Körperlichen, die mit den Falten
der Haut geht, als technische Besonderheit voll-
kommen hinter dem tiefen Ernst des innerlichst
durchempfundenen tragischen Zustandes zurück.
Auf den Gesichtern der Teilnehmenden prägt sich
der Druck der schmerzvollsten Erschütterung in
fast typischer Mimik aus. Die Winkel des kleinen
Mundes sind tief herabgezogen, die Augenlider
verhüllen fast die dunkeln Pupillen, um die Flügel
der langen, an der Spitze etwas eingebogenen Nase
zuckt verhaltenes Weinen. Unberührt von all der
Trauer, frisch und rosig schaut dagegen das an-
mutige Antlitz der jugendlichen Stifterin aus
der weissen Haube heraus, als Porträt von
grösstem Reiz, obwohl der Künstler der ihm eigen-
tümlichen Typik auch hier nicht ganz hat entsagen
können.
Nach all den Voraussetzungen, die aus der
Tätigkeit des Künstlers als Stecher sich ergeben,
seltsam genug: das Beste von des Bildes künst-
lerischem Wert liegt in der grosszügigen Linien-
führung der Komposition und der farbigen Energie
der breiten Flächen. Ueber eine gewisse Rohheit
der Durchführung im einzelnen kommt man nicht
leicht hinweg. Der Idealismus einer Zeit, der sich
die Pforte im Haus der Natur eben erst zu öffnen
anschickte, steckt dem rheinfränkischen Meister
noch in den Gliedern. Vor solchem Bilde erst
versteht man recht, dass der Apostel der
edelsten eingebornen Kräfte deutscher Empfindung
und deutscher Naturkenntnis — Albrecht Dürer
heisst.
 
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