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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Rüttenauer, Benno: [Rezension von: Società editice nazionale zu Rom (Hrsg.), La vita di Benvenuto Cellini ]
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0220

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kaum die Anfangsgründe der Grammatik zu kennen,
er spricht aller Syntax Hohn, aber er ist ein
geborenes Schriftstellergenie. In seiner Sprache
nicht die Spur eines Gelernten und Angelernten,
einer Nachahmung, einer Reminiszens. Als ob er
nie in seinem Leben ein Buch gelesen hätte. Einen
originelleren Stil hat noch niemand geschrieben.
Und das Geheimnis dieses Stils und seines mächtigen
Zaubers ist ganz einfach: Cellini hatte den Mut,
zu schreiben wie er sprach. Er ist schreibend ein
Sprechender. Seine Sprache ist in jedem Augen-
blick durchzittert von Leben und Leidenschaft.
Wir glauben ihn zu hören, wir glauben seine Gesten
und Gestikulationen zu sehen. Wir erbeben in
Lust oder Schreck, als ob uns der „uomo terribi-
lissimo“, wie Vasari ihn nennt, wirklich und leib-
haftig gegenüberstünde. Und welche seltsame
und rätselhafte Widersprüche. Dieser zierliche
Former und Ciseleur, für dessen Werke Zierlichkeit
geradezu das charakteristische Wort ist, ja der mit
seinem Perseus uns fast schon als „Akademiker“
erscheint: in der Kunst, die er nicht als Kunst

behandelt hat, in der Kunst der sprachlichen Dar-
stellung, da ist der Kerl ein ganz anderer, da kennt
er keine Formenzierlichkeit, keinen allbeherrschenden
Einfluss der Antike (also etwa des klassischen
Lateins, wie Boccaccio), da giebt es für ihn über-
haupt keine Regeln, da tritt er den architektonischen
Gesetzen als radikaler Anarchist gegenüber, da
lässt er seinem Temperament die vollen Zügel
schiessen, da ist er, mit einem Wort, er selber.
Und aber ganz und gar. Le stil c’est l’homme
gilt bei seinen plastischen Werken kaum; es gilt
durchaus von seiner Lebensbeschreibung. Kein
Wunder, wenn der Mann berühmter geworden
durch diese als durch seine noch so hübschen
„Sachen“ und einen Lebensreichtum durch sie
ausströmt und eine Wirkung durch sie ausübt auf
Ewigkeiten hinaus, dass uns der Bildner daneben,
neben diesem Giganten von Schriftsteller, immer
kleiner, immer „zierlicher“ erscheint.
Nehmt euch ein Beispiel daran, ihr Bildner
und ihr Schreiber, wenn ihr — Genie habt. Aber
ja so, dann braucht ihr eben kein Beispiel.
Dr. B. Rüttenauer.
 
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