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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Gaupp, O.; Whistler, James McNeill [Gefeierte Pers.]: James Mc Neill Whistler
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0281

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meiden alles Vulgären und Konventionellen, eine
Direcktheit und Einfachheit in der Ausführung,
hinter denen sich rastlosestes Streben nach Voll-
kommenheit und tiefstes Studium verbergen, charak-
terisieren seine Werke als Maler, wie als Radierer.
Whistler hat als Mensch ohne Zweifel viele Fehler
und Eigenheiten gehabt; er war eitel, streitsüchtig,
oft bis zur Giftigkeit bitter; aber niemand kann ihm
ein feinstes künstlerisches Gewissen abstreiten, eine
nie versagende künstlerische Selbstachtung, die sein
Schaffen von allen nicht künstlerischen Motiven
unberührt lies, und einen reinen Enthusiasmus für
die Hoheit seiner Kunst, deren andere Seite jene
Fehler zum Teil waren. Er hat das ganze Wesen
seines eigenen Schaffens charakterisiert, wenn er
in seinem Vortrag über Rembrandt und Tintoretto
sagte: „Keine Reformatoren waren diese grossen
Männer — keine Verbesserer der Wege anderer!
Ihre Schöpfungen allein waren ihre Beschäftigung,
und erfüllt von der Poesie ihrer Wissenschaft, ver-
langte es sie nicht darnach, ihre Umgebung zu
ändern; denn wie die Gesetze ihrer Kunst sich
ihnen enthüllten, sehen sie in der Entwicklung ihres
Werkes jene wirkliche Schönheit, die für sie eben-
so eine Sache triumphierender Gewissheit war, wie
für den Astronomen die Verifikation des Resultats,
das er voraussah mit dem Licht, das ihm allein
gegeben ist.“
Whistler liebte es, das Datum seiner Geburt,
seinen Geburtsort und die näheren Umstände seiner
Lebensgeschichte in ein gewisses Geheimnis zu
hüllen. Die biographischen Angaben gehen daher
ziemlich weit auseinander. Es scheint aber ziemlich
sicher, dass er 1834 in Lowell in Massachussets
geboren wurde und zwar als Sohn des Major
Whistler, der mehrere Jahre in Russland als Eisen-
bahn-Ingenieur tätig war. In Russland hat der
junge Whistler seine ersten Jugendjahre verlebt,
und er scheint erst gegen 1851, nach dem Tod
seines Vaters, nach Amerika zurückgekehrt zu sein,
wo er dann einige vier Jahre in der berühmten
Militärakademie West Point studierte. Der Drang
zur Kunst erwies sich aber als zu stark und gegen
1857 finden wir ihn in Paris in Gleyres Studio und
im Verkehr mit Künstlern, wie Degas, Manet
Fantin-Latour und Bracquemond. Von Gleyres
Klassicismus mit seiner Beimischung sentimentaler
und romantischer Elemente hat Whistler jedenfalls
nicht viel gelernt; seine wahren Lehrer waren
Velasquez und die Japaner und vor allem er selbst.
Nichts ist in seinem Entwicklungsgang bemerkens-
werter als seine Schnelligkeit und Sicherheit. Eine
Periode des Tastens und Suchens, der Unreife
scheint er nicht gekannt zu haben. Nach ein bis

zwei Jahren nomineller Schulung war er fertig und
hatte seinen durch und durch persönlichen und
originellen Stil voll entwickelt. Seine ersten
13 Radierungen, die sogenannte „französische
Serie“, die er 1859 publizierte, sind in ihrer Art
nicht weniger vollkommen und meisterhaft als die
späteren Schöpfungen seiner Nadel, und beinahe
unter den ersten Bildern, die er ausstellte, waren
„At the Piano“ und „The little white girl“,
Werke, die ihm allein einen dauernden Namen
in der Welt der Kunst gesichert hätten. Anfang
der sechziger Jahre kam Whistler nach London,
wo er dann ein Menschenalter lang in Chelsea
wohnte. Nach Chelsea ist er gegen den Schluss
seines Lebens nach mehreren in Venedig und
Paris verlebten Jahren zurückgekehrt, und hier
ist er gestorben. Was ihm Chelsea lieb machte,
war die Nähe der Themse, die er wie kein zweiter
in allen Beleuchtungen und Stimmungen studiert
hat. Was die grosstädtische Themse ihm verriet,
hat er der Welt in seinen prächtigen Themse-
Radierungen und den wunderbaren „Nocturnes“,
gemalten Gedichten in „Blau und Gold“, „Blau und
Silber“, „Schwarz und Gold“, und wie sonst seine
Variationen der Schönheit der wirklichen Fluss-
beleuchtung heissen, mitgeteilt. Rücksicht auf den
Raum verbietet uns, auf seine zahlreichen Werke
im Einzelnen einzugehen. Whistler war ein sehr
fleissiger Künstler; eine stattliche Zahl seiner Oel-
gemälde kennt jeder, der sich für die Kunst inte-
ressiert, und von seinen Radierungen hat Wedmore
nicht weniger als 268 katalogisiert. Es heisst
übrigens, dass Whistler eine ganze Reihe Gemälde,
Aquarelle und Radierungen hinterlassen hat, die
bisher keine Ausstellung sah, weil er sich nicht
von ihnen trennen konnte. Ein schöner Zug
Whistlers war die lebhafte Sympathie, die er bis
zuletzt der Jugend, neuen Ideen oder alten Ideen
in neuem Gewand bewahrte. Das kam zum Aus-
druck in dem Eifer, mit dem er in den letzten
Jahren die verdienstvollen Ausstellungen der Inter-
national Art Society unterstützt hat.
An äusseren Ehrungen hat es Whistler später
nicht gefehlt. Frankreich, Italien und Bayern haben
ihm hohe Orden verliehen. Von 1886—1889 war
er Präsident der Society of British Artists. München,
Dresden und Rom machten ihn zum Ehrenmitglied
ihrer Akademien. Die „Luxembourg“ Gallerie
kaufte 1891 das berühmte Portrait „Meine Mutter“,
das er 1872 gemalt hat, und die Stadt Glasgow
erstand seinen unvergleichlichen Carlyle. Eine
amüsante Schilderung seiner künstlerischen Fehden
enthielt sein „The Gentle tot of Making Enemies“
(1890).


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