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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Landau, Paul: Delacroix und sein Tagebuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0287

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Schaffens. Das verbindet ihn noch mit der rein
stofflichen Kunst Davids, der vor allem antike Ge-
sinnung in seinen Bildern ausdrücken wollte und
macht ihn abhängig von der romantischen Strömung,
in der durchaus die Literatur herrschte.
Fast alle Werke Delacroix’s lassen sich auf eine
dichterische Anregung zurückführen. Von Dante
und Byron ist er ausgegangen; gelehrte Allegorien,
mythologische Anspielungen füllen seine Wand-
gemälde. Selbst sein grosses Volks- und Strassen-
bild der „Freiheit auf den Barrikaden“ entwuchs
wohl einem Gedichte von Aug. Barbies und die
prachtvollen Pariser Typen, die denen Gavarnis
nichts nachgeben, drängen sich nur nebenbei in
das Bild ein, gerade so wie die erlesenen Farben-
spiele, die leuchtenden Wunder seines Pinsels nur
unnötigerweise hereingekommen scheinen in diese
Bilder, die interessante Begebenheiten anschaulich
machen wollen oder Gestalten der Poesie wieder-
geben, ohne doch die dichterische Anschauung zu
erreichen. So lassen seine Illustrationen des Hamlet
oder Faust uns heute kalt, in seinen meisten Bildern
stehen hinreissende Schönheiten neben trockenen
unbelebten Stellen; am reinsten wirken noch seine
orientalischen Bilder, bei denen das Exotische und
Fremdartige das Dichterische ersetzen musste. In
seinem Tagebuche aus Marocco stehen prächtige
Schilderungen, die einen scharfen Blick für Ethno-
logie und Völkerkunde verraten, und doch wird
ihn nach diesem Lande warmer Farben und üppiger
Sonnenlichter zuerst sein Malerherz gezogen haben.
Auch hier können wir in dem „Journal“ eine Fort-
entwicklung vom Literarisch-Stofflichen weg wohl
verfolgen. Der Mann, der 1822, dem Jahre seines
genialen Beginnens, ausrief: „Wäre ich doch ein
Dichter“, der dann lange sorgsam die Vorzüge von
Malerei und Poesie abgewogen, kritzelte 1863 mit
Bleistift auf die letzte Seite seines Tagebuches: „Es
ist das vornehmste Verdienst für ein Bild, den
Augen ein Fest zu sein!“ („le premier merite;“
wenn der deutsche Uebersetzer sagt „die erste
Pflicht“, so ist das nicht ganz genau). Es klingt
das wie ein Vermächtnis an die Zukunft, wie ein
Wahlspruch für die neue Kunst Manets.
Wenn Delacroix einmal sagt, der Maler müsse
einen abstürzenden Dachdecker wiedergeben können,
so lässt das an Degas und dem Impressionismus
denken. Wenn er leuchtende Farbentupfen so
aneinandersetzte, dass man fürchtete, er werde
alles in Punkte auflösen; so denkt man an die
Pointeilisten. Aber das alles sind nur Ahnungen,
neben denen der Unterschied um so stärker her-
vortritt. In der Technik war Delacroix der erste
moderne grosse Maler; er hat Frankreich erlöst
von der Herrschaft des Umrisses, der Zeichnung;
in dem Inhalt seiner Bilder blieb er rückgewandt,
blieb Romantiker; erst Millet und Manet haben das
neue Leben in ihre Bilder einfluten lassen. Ein
wundervolles Präludium für die mächtig einsetzende
Symphonie der französischen Kunst im 19. Jahr-
hundert ist Delacroix, aber doch nur ein Vorklang!
Gerade seine grosse schriftstellerische Begabung
ist ein Symptom der Banden und Hemnisse, die
sein Genie noch fesselten.

Darum wird man nicht weniger dankbar sein für
das kostbare Vermächtnis, das Delacroix in Gestalt
seiner Aufzeichnungen seinem Lieblingsschüler Pierre
Andrien hinterliess und das dann erst 1893, um das
Tagebuch der Reise nach Marocco und allerlei andere
Aufzeichnungen vermehrt, bei Pion, Nourrit & Cie.
in Paris in drei dicken Bänden erschien, mit einer
Einleitung von Paul Flat und mit Anmerkungen
und Erklärungen von demselben und Rene Piot.
Es war das gute Recht des deutschen Bearbeiters
Erich Haneke nur eine Auswahl darzubieten, ob-
wohl es sich doch nicht ganz so verhält, wie er
in seiner dürftigen Einleitung, die nicht einmal die
doch auch von ihm zu Grunde gelegte französische
Ausgabe namentlich aufführt, bemerkt: „der Künstler
pflegte namentlich in den ersten Jahren selbst die
geringfügigsten Kleinigkeiten, sogar die kleinen Be-
träge, die er für Essen und Trinken, für Modell
und Oelfarben ausgab, aufzuschreiben. Alle diese
nebensächlichen Notizen, wie auch Briefe an Ver-
wandte u. s. w., haben wir weggelassen.“ Die
Auswahl ist gewiss mit feinem Takte geschehen und
giebt ein richtiges Gesamtbild von den ästhetischen
Anschauungen Delacroix’s, aber so harmlos sind doch
die Fortlassungen nicht. Die etwa 1400 Seiten der
französischen Ausgabe sind von ihm auf 259 Seiten
zusammengezogen worden; so hat er von all den
Bemerkungen, die für die psychische Entwicklung
des Malers so wichtig sind und die deshalb im
ersten Teile unseres Aufsatzes ausführlich behandelt
wurden, nichts mitgeteilt. Für jeden Biographen
des Künstlers, für jeden Freund seiner eigenen
komplizierten Persönlichkeit, für den, der mit
Fragen nach der Datierung eines Bildes, nach der
Chronologie der Aeusserungen (sämtliche Angaben
des Datums sind fortgelassen!) sich beschäftigt,
bleibt die französische Ausgabe unerlässlich.
Aber hier sollte ja auch nicht der gelehrten
Welt ein Quellenwerk verdeutscht werden, das
jeder Kunsthistoriker ebensogut im Original ein-
sehen kann, sondern dem Liebhaber und Kunst-
freunde sollte ein köstliches Brevier der Weisheit
geboten werden, gut und nützlich zu lesen für alle,
denen es mit dem Ergründen der Schönheit ernst
ist. Nur könnte man vielleicht wünschen, dass der
Bearbeiter die sorgfältigen und gelehrten An-
merkungen der französischen Ausgabe manchmal
mit übersetzt hätte, was nur ganz selten geschehen.
Manche feine Anspielung würde dann klarer, manch
längst vergessener Name würde deutlicher vor uns
getreten sein. Die Uebersetzung selbst, die doch
dem eleganten und scharfen Stil Delacroix’s
nicht ganz gerecht wird und manchmal etwas
ausdruckslos wirkt, hat ja diesen Niederschriften
gegenüber nicht jene heiklen und schwierigen
Künste von nöten, die dem Uebersetzer Fromentins
zu geböte stehen müssen. Im ganzen verrät be-
sonders die Uebertragung der technischen Ab-
schnitte in Haneke den sachkundigen Maler,
während die literarischen Bemerkungen augen-
scheinlich weniger interessierten. Es seien hier
zuletzt noch zwei Stellen erwähnt, deren nicht ganz
klare Uebersetzung leicht zu Irrtümer führen kann,
und die wohl einer Erklärung bedürfen.

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