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Schilderung der Dinge und die Schilderung unserer
Empfindung von den Dingen. Die erstere ist es,
gegen welche Lessing sich wendet, die letztere,
welche Dürer instinktiv als das Richtige empfunden
hat, obwohl er sich nicht ganz klar darüber geworden
ist. Er sagt in einem Atem: „Je genauer dein
Werk dem Leben gemäss ist in seiner Gestalt,
desto besser erscheint dein Werk . . . Daraus ist
beschlossen, dass kein Mensch aus eignem Sinnen
nimmermehr kein schönes Bild machen könne, es
sei denn, dass er davon durch vieles Nachbilden
sein Gemüt voll gefasst habe; das ist dann nicht
mehr Eigenes genannt, sondern überkommene und
gelernte Kunst geworden, die sich besonnet, er-
wächst und ihres Geschlechtes Früchte bringet.
Daraus wird der versammelte, heimliche Schatz
des Herzens offenbar durch das Werk und die neue
Kreatur, die einer in seinem Herzen schafft
in der Gestalt eines Dinges“ Während er
also vorschlägt „dem Leben gemäss“ zu schaffen
wird es ihm klar, dass die Kunst doch nicht einzig
auf Naturnachahmung beruht, sondern dass sie
eine „überkommene und gelernte“ ist, das heisst
mit anderen Worten, dass sie Tradition und Ent-
wicklung besitzt, also ein Reich für sich bildet, in
dem Nachahmung nicht Hauptsache sein kann.
Und somit kommt er ganz unvermutet auf den
„heimlichen Schatz des Herzens“, der offenbar
wird „durch das Werk und die neue Kreatur,
die einer in seinem Herzen schafft in der Gestalt
eines Dinges —“
Darin ist doch wohl klar genug das innerliche
Schaffen und Schauen des Künstlers dargelegt.
„Die neue Kreatur“ ist keine Naturkopie, sondern
etwas aus dem Herzen, aus sich selbst geschaffenes.
Es ist die in ein greifbares Ding umgesetzte Idee.
Unsere Ideen aber sind ein Teil unsrer Natur; sind
somit von dem Begriff Natur überhaupt nicht zu
trennen. Und insofern hat Dürer doch recht, wenn
er, das Wesen der Natur erkennend, die Kunst
als etwas ihr zugehöriges empfindet, als die in
unsrer innersten Natur schwebende Idee, die
nur gelöst, befreit, materialisiert werden muss, —
denn wahrhaftig steckt die Kunst in der
Natur; wer sie heraus kann reissen, der
hat sie!
Die Frage der Kunst löst sich in der Stilfrage.
Der Stil ist die Offenbarung menschlicher Gehirn-
tätigkeit, Phantasie und Selbständigkeit, mit einem
Wort ein Dokument der Menschenrasse.
Wenn Bülow von der Musik sagt: Im Anfang
war der Rhythmus, so kann man von der bildenden
Kunst sagen: Im Anfang war der Stil.
Das erste, was der Mensch der Natur gegen-
über empfand, war, dass er sie so wie sie war
nicht brauchen könne. Alles geht seinen Gang für
sich und kümmert sich nicht um das andere. Die
verschiedenen Tiere, die Pflanzen, die Steine —
alles lebt seine Welt und weiss nichts von einer
andern. In diese kreisenden Welten trat der Mensch
ein, der Mensch mit der ihm eigentümlichen Fähigkeit,
sich alles anzueignen und nutzbar zu machen.
Keine Rasse hat so weitgehende Bedürfnisse
wie die menschliche. Kein Tier, keine Pflanze macht
so schwerwiegende Ansprüche auf fremdes Gebiet
als der Mensch. Das ist naturgemäss, weil er die
reichst entwickelten Fähigkeiten hat. Der Vogel
fliegt, weil ihm in seinen Flügeln die Schwungkraft
gegeben ist. Der Mensch erobert die Erde, weil
er die Geisteskraft dazu besitzt.
Um die Welt zu erobern, muss man sie aber
begreifen. Wir müssen die fremden Sprachen, die
all die Dinge um uns her sprechen, in unsre
menschliche übersetzen. Diese Uebersetzungen,
oder wie man in Sinneseindrücken sagt, Umsetzungen
von der uns umgebenden Erscheinungswelt in unsre
eigene, rufen jene eigentümlichen mit den mensch-
lichen Entwicklungsphasen stets wechselnden Ge-
bilde hervor, welche wir Stil nennen. Stil ist somit
das vornehmste Merkmal menschlichen
Schaffens. Wie die Bildungen der Wolken, die
wunderbaren Formationen des Gesteins, die knorrigen
Gestaltungen der Bäume, wie das ganze ewige
Formenspiel der Natur für jede Art charakterisierend
auftritt, so bildet der Stil gleichsam die Silhouette
der Menschheit, zeichnet in die Geschichte das
Profil jeder einzelnen Epoche.
(Fortsetzung folgt in nächster Nummer.)
Schilderung der Dinge und die Schilderung unserer
Empfindung von den Dingen. Die erstere ist es,
gegen welche Lessing sich wendet, die letztere,
welche Dürer instinktiv als das Richtige empfunden
hat, obwohl er sich nicht ganz klar darüber geworden
ist. Er sagt in einem Atem: „Je genauer dein
Werk dem Leben gemäss ist in seiner Gestalt,
desto besser erscheint dein Werk . . . Daraus ist
beschlossen, dass kein Mensch aus eignem Sinnen
nimmermehr kein schönes Bild machen könne, es
sei denn, dass er davon durch vieles Nachbilden
sein Gemüt voll gefasst habe; das ist dann nicht
mehr Eigenes genannt, sondern überkommene und
gelernte Kunst geworden, die sich besonnet, er-
wächst und ihres Geschlechtes Früchte bringet.
Daraus wird der versammelte, heimliche Schatz
des Herzens offenbar durch das Werk und die neue
Kreatur, die einer in seinem Herzen schafft
in der Gestalt eines Dinges“ Während er
also vorschlägt „dem Leben gemäss“ zu schaffen
wird es ihm klar, dass die Kunst doch nicht einzig
auf Naturnachahmung beruht, sondern dass sie
eine „überkommene und gelernte“ ist, das heisst
mit anderen Worten, dass sie Tradition und Ent-
wicklung besitzt, also ein Reich für sich bildet, in
dem Nachahmung nicht Hauptsache sein kann.
Und somit kommt er ganz unvermutet auf den
„heimlichen Schatz des Herzens“, der offenbar
wird „durch das Werk und die neue Kreatur,
die einer in seinem Herzen schafft in der Gestalt
eines Dinges —“
Darin ist doch wohl klar genug das innerliche
Schaffen und Schauen des Künstlers dargelegt.
„Die neue Kreatur“ ist keine Naturkopie, sondern
etwas aus dem Herzen, aus sich selbst geschaffenes.
Es ist die in ein greifbares Ding umgesetzte Idee.
Unsere Ideen aber sind ein Teil unsrer Natur; sind
somit von dem Begriff Natur überhaupt nicht zu
trennen. Und insofern hat Dürer doch recht, wenn
er, das Wesen der Natur erkennend, die Kunst
als etwas ihr zugehöriges empfindet, als die in
unsrer innersten Natur schwebende Idee, die
nur gelöst, befreit, materialisiert werden muss, —
denn wahrhaftig steckt die Kunst in der
Natur; wer sie heraus kann reissen, der
hat sie!
Die Frage der Kunst löst sich in der Stilfrage.
Der Stil ist die Offenbarung menschlicher Gehirn-
tätigkeit, Phantasie und Selbständigkeit, mit einem
Wort ein Dokument der Menschenrasse.
Wenn Bülow von der Musik sagt: Im Anfang
war der Rhythmus, so kann man von der bildenden
Kunst sagen: Im Anfang war der Stil.
Das erste, was der Mensch der Natur gegen-
über empfand, war, dass er sie so wie sie war
nicht brauchen könne. Alles geht seinen Gang für
sich und kümmert sich nicht um das andere. Die
verschiedenen Tiere, die Pflanzen, die Steine —
alles lebt seine Welt und weiss nichts von einer
andern. In diese kreisenden Welten trat der Mensch
ein, der Mensch mit der ihm eigentümlichen Fähigkeit,
sich alles anzueignen und nutzbar zu machen.
Keine Rasse hat so weitgehende Bedürfnisse
wie die menschliche. Kein Tier, keine Pflanze macht
so schwerwiegende Ansprüche auf fremdes Gebiet
als der Mensch. Das ist naturgemäss, weil er die
reichst entwickelten Fähigkeiten hat. Der Vogel
fliegt, weil ihm in seinen Flügeln die Schwungkraft
gegeben ist. Der Mensch erobert die Erde, weil
er die Geisteskraft dazu besitzt.
Um die Welt zu erobern, muss man sie aber
begreifen. Wir müssen die fremden Sprachen, die
all die Dinge um uns her sprechen, in unsre
menschliche übersetzen. Diese Uebersetzungen,
oder wie man in Sinneseindrücken sagt, Umsetzungen
von der uns umgebenden Erscheinungswelt in unsre
eigene, rufen jene eigentümlichen mit den mensch-
lichen Entwicklungsphasen stets wechselnden Ge-
bilde hervor, welche wir Stil nennen. Stil ist somit
das vornehmste Merkmal menschlichen
Schaffens. Wie die Bildungen der Wolken, die
wunderbaren Formationen des Gesteins, die knorrigen
Gestaltungen der Bäume, wie das ganze ewige
Formenspiel der Natur für jede Art charakterisierend
auftritt, so bildet der Stil gleichsam die Silhouette
der Menschheit, zeichnet in die Geschichte das
Profil jeder einzelnen Epoche.
(Fortsetzung folgt in nächster Nummer.)