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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 1
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Everhardt, Gustav: Ins Nahetal
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0032

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Oberstein.

Nheingrafenstein.

von der Bah», cin dickcr Fels im Grns, der obcn
bcrnnter qcfallcn ist und lustigcrweisc ein Häuschen
drcmter vor Rcgcn schützt. Dann stehcn übcr dem dicht
ins Tal gcdrängtcn Ort zwci Burgcn auf dcn Porphyr-
wändcn, wie auf dcn alten Mcistcrbildcrn so kühn und
primitiv zuglcich, cmd dann zulctzt in der senkrechtcn
FelSwand mittcn drin ein Kirchlein, in cincr mühsanr
ausgehauenen Mrüdc, mit Dach und Türmchen. Mehr
kaim dic Kinderphantasie kaum noch vcrlangen; dcnn
in der Kirche quillt auch noch ein Brunnen aus dem
FelS, und einc Sage von cinenr Sünder klebt daran,
dcr seincn Brudcr oben vom Schloß gcstürzt und dann
zur Sübnc nrit eigenen Händen, trotz seiner Fürstlichkcit,
dic Muldc grabcn rmd das Kirchlein mauern mußte.

NichtS ist bezeichnender für den dcutschen Kinder-
gcist nn Mittelaltcr rmd nocb heute, als diese trcue
Pslege von Sagen, wo innner einer sich gegen die
Kirche und ibre göttlichcn
Gebote vergeht und danach
eine Ablaßarbcit verrichtet,
dic dcn Nachgeborenen alö
warnendes Epempel vor
Augen steht. So gchört ein
gutcr Tcil der rhcinischen
Sagcnwelt der kirchlichcn
Pädagogik an, die, wie wir
vonr Cäsarius von Heister-
bach fcststellen können, die
bestcn Köpfe gcschickt in
ihren Dienst zu stcllen wußte,
um solche Gcschehnisse aus-
zumalcn; dic gegen die
menschliche Lieblichkcit der
evangclischen Glcichnissc von
ciner inönchischen Weltsremd-
heit sind, und in denen es
eine andcre Sühne alS den
Kirchendienst nicht gibt.

Dic Jndustric von Obcrstcin rmd dem bcnachbartcn
Zdar ist wie die Reichsritterschaft nur noch Ruincnherrlich-
kcit. Achatc zu schlcisen und in Tombak einzusassen, ist
kein Gewerbe, das noch lohnt. klnd aus dem Onyr statt
schlechte» Lampcnfüßcn zarte Schalcn und Gemmcn zu
schleisen und zu schneidcn: ernährt wobl semen Mann
gclegentlich, wenn er ein Künstlcr ist, doch keine Be-
völkerung. So geht eö den Leutcn an dcn Schlcisstcinen
dieser wasserreichen Täler wie sonst den Nagelschmieden:
sie sind mit ihrcm Handwerk aus der Zeit gcraten; An-
hängscl der Andcnkciiindustrie in dcn Bädern Kreuznach
und Münster am Stein, die von besonderö Neugierigen ge-
legentlich auch noch bei ihrem Handwerk bcsichtigt werden.

So sind eö keinc fröblichen Gedanken, nrit denen
wir von unserm Tageöausslug wiedcr hlnuntcrfahren
an dcn brciten Rhein. Wir brauchen nur noch zu cr-
fabren, daß dicse cnge Steinwclt deS Nahetals das

Raubgebiet des Dchinder-
hannes war, unr deutlich zu
sühlcn: dies ist wabrhaftig
ein Sinnbild des deutschen
Mittelalters in seiner kleinen
Enge und Ierrissenheit, das
endlicb nichtS mchr wußtc,
alö sich in einem dreißig-
jährigen Kriege um psäsfi-
sche Hirngespinste selbst zu
zersleischen, und das unö die
Si'nnbilder sciner großen Gc-
danken, die gotischen Dome,
unvollendet überlassen mußte.
Eö war ei» Abentcuer, diese
Fahrt; wir atmen freier,
wenn wir den Rbeingau
wicdcrsehen, und können sast
schon die Germania aus
seineni Niederwald ertragen.
Gustav Everhardt.

Häuser auf der Kreuznacher Brücke.
 
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