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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 2
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Schwerdtfeger, Robert: Der Selbstmord Peter Gasterstedts
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0071

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er Selbftmord Peter Gafterftedts.

Von Robert Schwerdtfeger.

Bald nachdem Peter Gasterstedt aus der wüsten
Großstadt in das Dorf gekommen war, kannten ihn
alle Dörfler. Hätte er mit ihnen freundschaftlich getan,
wäre seine seltsame Erscheinung ihnen rasch aus den
Augen und aus dem Sinn entschwunden, da der
Nebel der Gewohnheit ihre bizarren Linien verwischt
hätte, wie der Schwamm die Kreide verwischt. Aber
er sprach mit keinem der Bauern ein Wort, und mit
dem Wirt, der Wirtin und dcr Magd nur das Nötige.
Nicht etwa aus Feindseligkeit, Hochmut oder Menschen-
scheu; er hatte seine Absicht dabei: er wollte der
Fremdling bleiben, alö der er gekommen war, um nicht
durchs Menschliche dem Menschlichen wieder nahe gebracht
zu werden. Denn er beabsichtigte, hier in der Ruhe und
Abgeschlossenheit des Landaufenthalts nach reichlicher
Galgenfrist seinem Leben ein Ende zu machen, sowie
der erfte Tag seineö einundzwanzigften Jahrs, der ihn
vor der Welt mündig machte, herangekommen sei.

So war er den Dörslern täglich eine neue Erscheinung,
die Grund genug zum Aufsehn von der Arbeit, wenn
er ohne Gruß vorüberging, und zur Abendbelustigung
in der Gasthausstube, wenn durch die dünnen Lehm-
wände der zitternde Ton seiner Geige klang, gab. Den
ganzen Tag ftrich er durch die Landschaft. Wenn
irgendwo zwischen den Büschen, hinter dem Korn oder
am Flußuser ein gelber Fleck auftauchte, von dem die
Sonne abprallte, wie von einem Glaöscherben, sahn die
Leute von der Heuarbeit auf und lachten: „der Kapital-
peter". Wenn von irgendwo auö der Ferne ein Ton
herüberklang, der zitternder alö Grillengesang und
trauriger als Nachtigallenflöten war, ftießen die Mägde
sich an und kicherten: „der Kapitalpeter". Wenn an
irgendwem in der Dunkelheit des Abendö ein schlürfender
Schritt vorüberftrich, der vom ftändigen Hüpsen einer
unruhigen Stockspitze im Kies begleitet war, schmunzelte
der für sich: „der Kapitalpeter". Die Bauern finden
rasch solch neue Eigennamen. Die Kapitale dcS Landes, aus
der Peter Gasterstedt zu ihnen gekommcn war, gewann
in ihren Bauernschädeln die Gestalt eincs Amcisen-
haufens voll solcher Kapitalpeter. Und das machte
ihnen selbstverständlich Spaß, denn keiner von ihnen
konnte sich rühmen oder tadeln, je in der Hauptstadt
gewesen zu sein.

Die Teilnahme der andern Lebewesen in und vor
dem Dorf war nicht so spöttisch unzärtlich. Da war
zuerst die schwarze Hauskatze im Gasthos, die sich
ftändig mit krummem Buckel an Peter Gafterstedts
Waden scheuerte, wenn er beim Essen saß, und ihn,
ließ er ihr einen Brocken hinabfallen, vorwurfsvoll
ansah, als wollte sie sagen: „Wie, glaubst du, ich liebe
deine Beine, weil ich Futter von dir will?" — Da war
serner der zottige Jagdhund, der am Abend aus der
Diele lag, und die Geigentöne, die durch die Stuben-
tür hinausweinten, mit einem jän»mcrlichen Geheul
begleitete, bis der erbofte Wirt kam — den Geigenden
ftörte die Begleitung nicht im geringsten — und ihn an
die Kette legte, wo er noch lange leise weiter jaulte.
Und endlich war da ein Zwerghuhn, das regelmäßig

//

seinem Gockel davonlief, wenn es Peters ansichtig wurde,
und freundlich gluckte: „ach du armeS Küchlein". Wegen
seiner flaumgelben Haare glaubte es offenbar, er sei
eben erst aus dem Ei gekrochen.

Noch mehr Mitgesühl sand er draußen in der freien
Natur. Wenn er im Wald aus dem Rasen einer ein-
samcn Lichtung saß und geigte, hörte der Häher aus
zu schreien, und Amsel und Drossel fingen die schwingen-
den Töne der gestrichenen Saiten atemlos und andächtig
auf, um von dem seltsamen Wesen, das schöner sang
als Bülbül, zu lernen. Und trug ein sanfter Wind ein
Tremolando hinaus auf die Wiese, stockten für einen
Augenblick die tausend Geigen der Grillen, um dann,
wenn der Ton verweht war, die tanzende Sommerluft
mit schwirrenden Streichen zu durchschneiden. Als ein-
mal das Reh seinen Kopf durch das Unterholz aus die
Lichtung ftreckte und den Spielenden eräugte, glaubte
eö den kleinen Schmerzenreich zu sehn und schaute sich
vergeblich nach Genoveva um, bis Peter Gastcrstedt
plötzlich aufsprang, die Geige sortwarf und jauchzte:
,Noch vierundzwanzig Tage!" — Da floh es erschrocken.

Manchmal aber geigte Peter Gafterstedt nicht, son-
dern lag auf der Erde, irgendwo in dem schönen Land:
am Fluß oder aus der Wiese oder im Wald oder am
Hügel, und lauschte dem ungeheuren Lärm dcr kleinen
und kleinsten Welt. Wie mit goldenen Bändern an den
blauen Himmel gebunden, hingen die Lerchen hoch oben
und schütteten ihre Liederkehle aus. Vom Waldrand
her brauste und klang und sang es wie tausend Kirchen-
orgeln, und das Plätschern des unruhigen Flusseö war
wie der Knabenchor in der Kirche. Oder, wenn er die
Augen schloß, drang das Getön der Myriaden Insekten
in seine Ohren, daß er glaubte, im Himmel werde
Gesangstunde abgehalten, und ab und zu öffne der
liebe Gott das Fenster; dann klang eö noch mächtiger
und dröhnte wie ein Hummellied nah am Ohr. Am
schönsten aber war eö unter den blühenden Linden am
Fluß. Lag er da und träumte, dann meinte er, eö
klänge in seiner Seele vor Freude über die baldige Er-
lösung. Ein Nektarduft machte ihn trunken, und spitz-
seine Tropfen Honig, die die Bicnenschwärme da oben
in der Krone fallen ließen, stäubten auf das Gesicht
und süßten die Lippen. Dann sprang er verzückt i»
die Höhe und lachte und weinte zugleich und rief: „Es
ift zu viel, zu viel für die kurze Ieit!"

Er wollte ein Merkbuch über die letzten dreißig
Tage vor seinem Tod sühren, aber es gab in diesen
dreißig Tagen so unendlich viel zu hören, zu sehn und
zu fühlen, daß er seine Absicht nicht auöführen konnte,
wollte er die kurze Frift, die ihm gegebcn war, nicht
freoelhaft verkürzen und sich den Vorgeschmack der
Ewigkeit vertinten. So ließ er es bei gelegentlichen
kurzen Notizen bewenden, und nur ein Blatt, das vom
ersten der dreißig Tage, war ausführlicher. Dies Blatt
lag mit den übrigen in einem Bries, den er vor seinem
Scheiden absandte, und kam so an die richtige Adresse.
Der Kürze halber, um nicht in psychologische Weit-
schweifigkeiten zu geraten, will ich es hier einfügen:

„Um nicht die letzten schönen Stunden vor meinem
Tod mit zeitraubcnden Erklärungen zu vergeudcn, will
ich gleich heute mit dem Nötigsten beginnen.

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