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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 1
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Everhardt, Gustav: Ins Nahetal
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0031

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O^ns Nahetal.

Awischen Bingerbrück nnd Bingcn zieht in dcn

grünen Stroin cin moorig bmuner Streifen,
der ihm noch lang das linke Ufcr säumt: die Nahc.
Jhr Gcwäffcr lockt zu keiner Fahrt, cs ist fast nur ein
großcr Bach und kommt aus cincm brcitcn auSdruckS-
losen Tal dabcr. Wcr abcr das bißchen Eiscnbahn nicht
scheut, wird sich an ihren Abcntcuern reichlich bclohnen.
Denu so ncbensächlich ihre Talrümc sür den hcutigcn
Vcrkchr ist, es muß cinmal ein wichtiger Handelswcg
gcwescn scin: uugcwöhnlicb rcich sind ihre Uscrbcrgc
mit Schloß- und Klostcrruinen besetzt, davon manche
wic die Ebernburg, Rhcingrascnstcin, Schloß Dhaun und
Sponhcim, auch Diffibodenberg bcrühuuc Namcn habcn.

Der untcrc Tcil dcö Tals ist flach uud ohne
sondcrlichen Reiz, nur daß man sich auf cinmal wicdcr
wie irgcndwo am Dbcrrhcin in Wiesen aus rotcm Sand-
stcinbodcn findet, wodurch daS Grün und jedc Farbc dcr
Landschast durchaus vcrändcrt schcint,
nach dcm vornchmcn Schiesergrau dcS
Rhcingaucs bäurisch derb anmutcnd.

Man säbrt an letzten flachen Hügeln dcs
Hunsrück hin und sieht in cinc breite
Ebene, dic hiutcr dem Scharlachbcrg bci
Bingcn ihrc Wicscn brcitct. Die Nahc
rinnt in Büschcn hin und her, mit
Gänscn übcrreich bevölkert.

So kommt man mählich nach
Kreuznach hin, dcm vielberübmtcn Sol-
bad an dcr Nahc, wohin die Menschcn
wenigcr zum Vergnügcn, alS zur
Heilung gchcn, obwohl auch sürö Dcr-
gnügen cinigcs besorgt ist. Die Stadt
ist alt und rcicht mit ibren Sagen
und Mauerrcsten in die Zeit der Römcr
und ersten Ehriften. Daö Schönstc ist
dic altc Nahebrücke, aus dcrcn Pfcilcrn
sich die Menschen mit Wohnungeu eiu-
genistet habcn. Aucb wird dcm Fremden
noch das Haus gezeigt, wo ehemalö
Johann Georg Sabcllicuö Faust, Schwarzkünstlcr und
Adept, als Schützling Sickingens wohnte, dcr ihn zum
Rcktor am Gymnasium machte. Dic Bürgcr jagten
ihn zwar bald davon; aber sein Verhältnis zu Sickingen
ist sür bcide chrend. Ob dcffcn Reichsrittcrgchirn freilich
den Unterschicd zu Huttcn, Ocolampadius, Buccr und
Melanchtbon, seinen andcrn Gästcn in der „Hcrberge der
Gcrechtigkeit", empsundcn hat? Dcn» Fauft als Rektor
am Gymnasium schcint ctwas viel „Gerechtigkcit".

Die „Herbcrgc" selbcr liegt ein Stündchen oberhalb;
man geht zu Fuß daö schöne Tal hinaus, darin sich
zwischen Salincn und ihren Dorncnmauern der Weg
gemächlich in die Felseneugc zieht, dic nun beginnt. Bald
sieht man schon die „GanS", die mit dcm „Rotenfclö"
der andcrn Seite hicr Torwacht steht, zackigc Porphyr-
selsen spärlich bcwachsen. Der eigcntliche Augenpunkt, daö
„Glanzstück" dieser engcn Talwelt aber ist dcr „Rhein-
grafenstein", nächst dcr Lorelei der berühmtcste FelS dcs
ganzen romantischcn Rhcingebicts. Nicht andcrs als ein
Riesen-Mammutzahn wächst cr scnkrccht aus dem Wasser

der Nahe auf, IZ2 m hoch, und trägt aus seiner Spitze
kaum erkcnnbar, so sehr sind ihre Räumlichkciten als
Höhlen in den FelS gegraben, die Reste der altcn Rhein-
grascnburg. Dagcgcn ivirkt dic „Ebcrnburg" dcr Sickingcr
sast wie ein Bauernhos. Sie hcbt sich wcitläusig aus
dcm Hügcl gegenübcr zwischen Alscnz und Nabc, die
hicr zusammeusließen, und mittcn vor ihrcr Ansicht steht
in halber Höhe das Sickingen-Hutten-Denkmal. Ob man
sie Freunde nenncn darf? Hier ift dcr Sickingen ein
ausrechter Ritter, dcr Huttcn cin von Leidenschaftcu ver-
zerrter Kerl, der ihn aushetzend an der Schulter reißt.
Sovicl ich wciß, das cinzige Denkmal, was diese hcldcn-
hafte Feucrsecle gesundcn bat, abgesehcn vo» seincm
Plätzchen aus dcm Luthcrdcnkmal in Worms. Und doch
ist dicscr gcnialc Mann eincr dcr dcutschcstcn Gcstaltcn
und mit Lutber dcr Begründcr unsereS dcutschen Schrist-
tums. Ohnc dicse Feucrflamme wärc die dcutsche Resor-
mation eine bäurisch-mönchische Bcwcguug, in ihm tritt
ihr dcr dcutsche Adcl bci, zuglcich der Humanismus
edelstcr Bildung. Dcnn dicser Ritter
war im Klostcr crzogcn und hatte als
Schüler zu dcn Füßen dcr seinsten
Humanisten gcsessen, wic auch die mei-
sten seiner Schriftcn latcinisch und crst
dic aus dcn letztcn Jahrcu in deut-
scber Sprachc gcschricbcn ivarcn. Jn
kemem Kopf ift der Gcdanke der
dcutschcn Resormation, die Sclbständig-
kcit des dcutschcn Volkes, loS von Rom
nicht nur aus kirchlichem Gebiet, dic
wir bis hcute nicht erlangen konnten,
lebcndigcr gewesen, als in scincm. Und
alö er aus dcr Jnsel Ufenau im Aürich-
scc alö hcimatloser Flüchtling mit Z5
Jahrcn starb: ist der Gedanke mit ihm
gcstorben, um cinmal noch ün ReichS-
sreiherrn Stcin kurz zu crivachcn.

Wie dcr Huttcn an dcm mächtigcn
Sickiugen dcö Denkmals hängt, dcr
ihm ivie auch dcm Schwarzkünstlcr
Fauft Herberge gab, unfähig, den
wabren Rittcr in scinc Jdcen vom deutschen Volk hinein-
zureißen, wie cr in wildcr Leidenschast, wciscnd und
grciscnd zugleich, deu Arm ausstreckt nach seinem Ziel,
das von dcm andern wcder erstrcbt, noch überhaupt be-
griffcn wird, sodaß er auf der Grcnze deS RitterS von
der traurigcn Gcstalt dasteht: das wirkt wie cin schau-
riges Symbol der Kämpscr, dic in das dicke deutsche
Blut den Fcuertrank des Gcistes bringcu niöchtcn.

DaS Tal dcr Nahe weitcr hinaus.gehörtc gau; dcr
Rcichsritterschast. AuS allcn Ncbcntälcrn schaucn dic
Ruincn ihrer Schlösscr hercin. Sponhcim, Dhaun,
Schloß Böckelhcün, dic Kyrburg, dcr Brunkcnstcin und
StcinkallensclS, aucb Wartenstein: das hängt hier alles
aus wenige Stundcn ineinandcr. Bis hin nach Obcr-
stcin, wo die Vcrgnügungsfahrt ius Nahetal bccndigt
wird. Dic Eiscnbahn ist zuletzt ein Stückchen Kunstbahn;
vou dcr lctzten Station bis Obcrstcin zivanzig Brücken und
zebn Tunncls: cin bißchcn Schwarzwaldbahn im kleinen
Stil, sowie daö ganze Tal von Oberstein kleinbürger-
liche Nomantik ist, sast Kindcrspielzeug. Erst liegt, rcchtö

Das Hutten - Sickingen - Denkmal.

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