Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Lüthgen, Eugen: Die Gesichtsvasen in kultur- und kunsthistorischer Entwicklung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0067

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gesichtsvasen m
kultur- und kunft-
hiftorischer Entwicklung.

Schon die älteften Völker prä-
hiftorischer Ieiten kannten plastische
Gebilde von Ton. Bei der formalen
Fassung ihrer Kunstwerke entlehnten
sie ihre Motive gern der menschlichen
Gcftalt. Vor allcm ist es das Ge-
sicht des Menschen, das sie zu künst-
lerischer Verwertung reizte. Daher
ersreuten sich die Gesichtsvasen einer
gleichmäßigen, allgcmeinen Beliebt-
heit. Ein gemeinsames psychisches
Moment muß vorhanden gewesen sein,
aus dem hcraus kulturcll vollstän-
dig verschiedengeartete Rassen zu der
Zsthetisch schwer verftändlichen Form
der Gesichtsvasen gekommen sind.

Denn daß die Grundformen des
Gefäßeö nicht ohnehin zur Gesichts-
darstellung anregten, erscheint gewiß.
Wenn auch, entsprechend der mensch-

Abb. I. Altische Kanne, schwarzfig. Penode.

lichen Neigung zum Anthropomor-
pbiomus, cinzclne Gcfäßtcile als Lippc, Hals, Bauch
und Fuß bezeichnct wcrdcn, so liegt darin keineswcgS
eine Veranlassimg, auf dem Halse odcr auf dem
Bauche ein Gesicht anzubringen. Der Beweggrund zu
dieser Darstellung ist nicht von dieser äußerlichen Art;
er liegt tiefer. Wie sich aus den prähistorischen Funden
ergibt, ift die Ursache dieser seltsamen Darstellung in
dem religiösen Fühlen der primitiven Völker zu suchen.

Denn diese Gcsichtsvasen sind zum größten Teilc Grab-

nung tragen. Schon hier kann man
von ästhetischen, durch das Material
bedingten Formen sprechen.

Der Töpferton, eine weiche, knet-
und dehnbare Masse, birgt vermöge
seineö Materialcharakters alle Eigen-
schaften in sich, die die Grundlage
ästhetisch befriedigender Gefäßformen
bilden können. Da die Form des Ge-
fäßes während des feuchten, knetbaren
Iustandes des Tones entfteht, ist es
eine erstc ästhetische Fordcrung, daß
sic dem Charaktcr dcr tonigen Masse
entspreche. Als ein Ausfluß der Be-
dingungen des Materials zeigt sich
die weiche, runde, geschwungene Form,
die aller scharfen Ecken und Kanten,
jeder plötzlichen Bewegung entbehrt.
Mit dieser Tendenz trifft die, die auö
dem Gebrauchszweck deö Gefäßes sich
ergibt, unmittelbar zusammen. Denn
zur Aufnabme von Flüssigkeit bc-
stimmt, dic mit sanftem, gleichmäßi-
gem Drucke nach allen Sciten sich
auszudehnen bestrebt ist und die, dem
Gesetz der Schwere folgend, auf ihrer
Abb. 2. Gesichlsvase. Köln, mittelalkerl. Unterlage lastend ruht, entsprechen

urnen. Sie sind einzig zu dem Awecke
angefertigt, die Asche der Verstorbenen
zu bergen. Ein tiefinnerliches, reli-
giöses Gefühl mag dazu getrieben
haben, die lose Asche mit menschen-
ähnlicher Geftalt zu umkleiden, sie
wieder zu umhüllen mit Formen, die
denen ähnlich sind, dic den Verstor-
bcnen wührend seincö Lcbcnö charak-
terisiertcn. Daraus hat sich wohl
hier und da bei den Angehörigen dcr
Wunsch entwickelt, dem Toten gleich-
zeitig mit der Graburne ein Bildnis-
denkmal zu setzen. Wieweit dies der
Fall war, läßt sich nicht mehr ent-
scheiden. Doch ist anzunehmen, daß
in dcr Mchrzahl dcr Fälle die Bild-
niödarstcllung nicht beabsichtigt war.

Da es sich bei den Gefäßen um
dreidimcnsionale Gebilde handelt, dic
vorwiegend aus Ton hergestellt
werden, ist die Entwicklungskette bis
zu den heutigen kcramischen Formen
außerordentlich lang. Dazu kommt,
daß die Verwendung keramischer Er-
zeugnisse wegen ihres Gebrauchswertes
nicmalö ganz aufgchört hat. Dahcr ift dieser Iweig
der künstlcrischcn Betätigung dcs Menschen der einzige,
der sich in sast geschlossener Reihe von der prähistorischcn
Periode bis zur heutigcn Ieit vcrfolgen läßt.

Mit der Kulturstufe der jüngeren Steinzeit treten
die Europäer als sertige Kunsthandwerker aus. Schon
diese srühesten „Künstler" der neolithischen Periode haben
die Formen gesunden, dre, dem Gebrauchözweck der
ware entsprechend, dem Material des ToneS Rech-

Abb. Z. Steinzeugvase. Dreihauscn,
A. 15. Jahrh.

5Z
 
Annotationen