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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 3
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Hamann, Richard: Gewand und Plastik, [1]
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Stichproben aus Hans Thoma: "Im Herbste des Lebens"
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0117

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Gewand und Plastik.

gotischen Diensten oder elastisch gebogenen Gewölbe-
rippen. Solche Faltenzüge können sich assoziieren und
in Gruppen kontrastieren, oder es kann eine Gruppe
gebogener Falten allmählich in die der gestreckten über-
führen, und so wird durch Annäherung oder Gegensatz,
durch mannigfache Beziehungen das BewegungSthema
des Gewandkörpers ein einziges und ganzes. Jn den
starren, stabartigen Vertikalfalten gibt sich ein festes
Stehen kund, die leicht gebeugten, schräg herabfließenden
Falten übernehmen die Funktion des lässig zur Seite
gelegten und eingebogenen Spielbeines, und wenn nach
oben die Falten immer wagerechter hängen und sich
stärker biegen, zeigen sie die ruhende und leicht ver-
schiebbare Masse des Oberkörpers an oder übernehmen
sie die Funktionen gebeugter Arme. So ist es mehr
als eine bloße Analogie, wenn wir von Streck- und
Beugefalten reden, und Standfalten die ftarren, ihre
Richtung bei Biegungen des Körpers nicht verändernden
vertikalen Falten nennen, Spielfalten jene zwischen zwei
Punkten labiler aufgehängten und beweglicheren Falten,
die jede Senkung der Schulter, jede Drehung und
Neigung des Körpers sofort reflektieren. Die Falten
werden ein vollkommener Ersatz der Glieder, und es
verrät sich in ihnen Standfcftigkeit und Spielfreiheit,
säulenhafte Aufrichtung und inncrc Elastizität, Einheit-
lichkeit und Harmonie in mannigfaltigem Reichtum.
Und wir sind überzeugt: alles das ist mit Bewußtsein
oder wenigftens mit selbftverständlich gewordener, aber
auö Übung gewonnener Gewohnheit vollzogen. Das
gotische Gewand ift der Ausdruck höchster Körperkultur.

Also nicht dort, wo das Gewand sich an den Körper
anlegt und die Glieder sich durchdrücken, sondern in
der Faltengebung selber haben wir den Prüfftein für
den höheren und niederen Grad der Kultur. Es ift
deshalb zu wenig gesagt, wenn man die Falten nur
ein Echo des Bewegungömotives des Körpers nennt,
wie Wilhelm Vöge es tut, der wohl für die plastischen
Motive in der mittelalterlichen Skulptur das feinfte
Gefühl entwickelt hat. Eher könnte man die jetzt nur
in Andeutungen sichtbaren Gliederbewegungen ein Echo
der Faltenzüge nennen. Bei der reicheren Gliederung
des Faltcnkörpers, der anderen Vertcilung und Gruppie-
rung der Gewandglieder, als sie die Körperteile unter
dem Gewand bieten, würde es einen wenig harmonischen
Iusammenklang geben, wollte man bei jeder Falte ein
zugehöriges Körperglied suchen, deffen Bewegung in
ihnen wiederklingt. Wo das Gewand plaftisch organi-
siert ist und gleichzeitig die körperlichen Glieder sich
durchdrücken, können Gewand und Körpermotive in
korrespondierende und widerftreitende Beziehungen treten;
korrespondierend, wenn die Streckfalte am Standbein
hinzieht, die Beugefalten über das Spielbein laufen,
widerspruchsvoll, wenn Standsalte und Spielbein, Spiel-
falte und Standbein sich an derselben Körperseite
assoziieren.

So formlos und tot übernommen, von kundigen
Händen Form und Ordnung empfangend und vom
Geiste der Diöziplin durchwaltet, wird dieses Gewand
das ideale Gewand, und wird bis heute gern dort
angewendet, wo eine Geftalt uns als imponierend und
beherrschend entgegentreten soll. Der das Gewand sieg-

reich durchdringende Formgedanke, der über jedeS Glied
sicher verfügende Wille offenbaren die llberlegenheit
körperlicher Zucht und Fähigkeit, sich zu halten und zu
benehmen. So ist das gotische Gewand die Kleidung
ritterlicher ariftokratischer Menschen, denen die be-
ständige Wachsamkeit über ihren Körpcr und dessen
Glieder zur Gewohnheit geworden ist- Jhnen ist das
mitzuschleppende und zu haltende Gewand keine un-
bequeme, störende Last, und sie sind nicht, wie wir
heute, in Verlegenheit, was sie mit ihren Armen und
Händen anfangen sollen. Da sie nicht zu arbeiten
haben und die Hände dafür frei haben müffen, sondern
ganz mit sich selbst beschäftigt sind, die Glieder und
Falten in Kraft, Ordnung und Schönheit zu halten
und eine stolze Erscheinung darzustellcn, tragen sie ihrcn
Wert ganz in sich und geben sie sich repräsentativ.
Nicht durch das, waö sie für den andern tun, wirken
sie, sondern als Beispiel. Für religiöse Kunst ist der
gewandete Körper um einen Grad idealer, als der nackte,
der in vollkommener plaftischer Organisation auch vor-
bildlich und imponierend dasteht, aber notgedrungen
um einen Grad menschlicher erscheinen muß. Alleö
Göttliche aber strebt nach Verhüllung.

Richard Hamann.

tichproben aus Hans Thoma:
„Im Herbste des Lebens".

Auf der Heimreise war der Frühiporgen in der
lombardischen Ebene so schön — leichte grüne Bäume
an stillen Waffern und alles von dem kräftigften Morgen-
rot bestrahlt, was ich je gesehen habe, die roten Wolken-
schafe spiegelten sich in den Waffern und das Grün
war sast so licht und hell leuchtend wie das Morgen-
rot. (S. 74.)

* *

*

Meine neuesten Schwarzwaldwanderungen führten
mich auch auf den Feldberg — daS ist ein gar eigenartiges
Gebilde von Berg; man meint fast, er sei ein Riese,
der am Boden licgt und scine Armc weithin ausbreitet
über die Lande, die er beherrscht; er macht kein großes
Aufhebens von sich — er ift faft ein Duckmäuscr von
Berg, dem es nicht der Mühe wert war, sich noch
um soundsoviel Meter mehr über den Meeresspiegel
zu erheben — als Bub hab ich mich immer geärgert,
daß er die wenigen Meter, die ihm noch zu der runden
Zahl von I5OO gesehlt haben, nicht mehr erreicht hat. -
Der Riese nahm gerade ein Sonnenbad, als ich über
seinen Rücken krabbclte. (S. 92.)

* *

*

Die Iiegen sehen anders aus, als die unsrigen; sie
haben eine Art von ornamentaler Zierlichkeit. (S. 69.)

-fi *

*

Jn einer abendlichen Weinkneipe wurde heftig darauf
hingewiesen, daß es mit der modernen Kunst nicht gut
kommen könne bis die alte Kunft beseitigt sei und man
kam überein, daß es gut wäre, den Vatikan und alle
 
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