Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Treu, Reinhold: Der Schillerpreis von 1908
DOI Artikel:
[Besprechungen]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0047

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Dcr Schillerpreis von 1-08.

Sagcnftoff in elektrischer Bühnenbeleuchtung vorführte.
Und als der kaiserliche Einspruch ihm den Schillerpreis
verwehrte, ftarrten die Goethebünde Deutschlands in
Waffen. Ob wohl heute noch jemand für dieses längst
abgespielte Versstück so große Allüren aufwenden möchte?
Jch fürchte, dieser Tantris ist nicht haltbarer und steht
selbst mit seiner Theaterwirkung noch hinter ihm zurück.
Man muß sich trösten, daß „mangels geeigneter Be-
werber" Gottfried von Straßburg nachträglich den
Schillerpreis erhalten hat, der ihm nach manchen Ver-
urteilungen seiner verruchten Sinnlichkeit endlich zu
gönnen ist.

Im Anfang unsercr literarischen Bewegung konnte
man pathetisch diesen Unsinn behaupten hören: Ja,
Shakespeare, der brauchte eine Maffe Szenen, um ein
Drama daraus zu machen; wir aber — die wir natürlich
nach dem Gesetz der geschichtlichen Entwicklung feiner,
tiefer, differenzierter geworden sind — wir machen aus
einer einzigen Szene von ihm ein ganzes Drama, das
ist unsere, das ist die moderne Kunft! Es scheint, daß
wir von dieser kläglichen Bescheidenheit — trotz der an-
geblichen Bewunderung Jbsens — nicht loökommen;
dieser Tantris ift jedenfalls nur aus solcher Kurz-
sichtigkeit der künstlerischen Absichten zu begreifen. Daß
er die Preiörichter in beiden Schillerlagern verwirren
konnte, gibt uns keine Hoffnung, sobald wieder in die
weiteren Gesichtskreise großer Dichtung hinein zu kommen.
Wir haben uns angewöhnen müssen, den Namen
Schillers mit Spott zu hörcn, wir sprechen über Tasso,
Gyges, Penthesilea, wie wenn wir ganz in ihren
Sphären lebten, und dann kommt ein Theaterkarren
mit diesem Narren Tantris heran, und der Beifall
klatscht zu den stillen Fenstern der deutschen Dichtung
lärmend hinauf.

* *

*

Doch tröstlich ift das Gegenbild: der gestundete
Schillerpreis des Staates (also die Hälfte der Summe)
ift mit allerhöchfter Genehmigung Karl Schönherr zu-
gefallen für sein Drama „Erde . DaS hat zwar bei
seiner erstcn Aufführung am Dumonttheater zu Düffel-
dorf ebensowenig wie später sonst den lauten Beifall
ausgelöft. Es ift ein hartes handfeftes Bauernstück
und zwar das erste seiner Art trotz Anzengruber.
Es nimmt die Bauern ohne Scntimentalität und
Bildung, als Menschen, die noch ursprünglich sind
in der Gebärde — doch nicht beim Tanz und bei der
Liebe oder beim Pfarrer, oder wenn eine neue Eisen-
bahn gebaut wird, oder wenn cine neue Religion in
der Welt ist: sondern wenn sie untereinander ihren
zähen Haß, ihre Eigensucht, ihre Rechthaberei, Schlauheit,
Unbcugsamkeit und dadurch ihre Größe haben, daß sie
immer mit beiden Füßen auf ihrem Grundbesitz statt
auf Theorien stehen. Der Baucr, der auf seincm Hof
ein König ist und eö bleibt, trotz seinem Sohn, der
unterdeffen nutzlos altert, der sich stündlich gegen die
Rachsucht, Verstockthcit, Faulheit, auch gegen die Jntrigcn
seiner Untergebenen zu wehren hat, dem endlich ein
Unfall schon den Sarg ins Hauö bringt, auf den alle
warten, die sich durch ihn unterdrückt fühlen, und der
diesen Sarg doch noch als Brennholz zerklcinert: das

gibt schon eine Mittelfigur für eine handfefte Komodie,
kein Erbförster mit cinem spitzfindigen Rechtsgefühl,
sondern einer, der die Macht und darum das Recht hat.

Wir müffen unS daran gewöhnen, daß die Taten
unserer Dichtung nicht so überraschend kommcn, wie es
nach den Modeerfolgen guter und schlechter Bücher
aussieht. Langsam ist Gottfried Keller in den Kreis
der Geachteten vorgerückt; und nnr dadurch von der
Menge schließlich bemerkt, daß er mit seinen kurzen
Beinchen uncrmüdlich dastehen blieb, indessen die andcrn
immer wieder an Blutschwäche umfielen und vom
Regisseur hinter die Kulissen gezogen wurden. Langsam
scheint auch die Anerkennung dieses harten selbstsicheren
Bauernstücks von Schönherr sich durchzusetzen. Die
Luft darin ist zu klar; die Tränendrüsen und Lach-
muskeln kriegen nichts Übliches zu tun; sein Humor ist,
wie wcnn ein Mann herzhaft über wichtige Zünglinge
lacht, die das nicht begreifen. Und zum erstenmal, daß
sich eine Dichtung deni Ierbrochenen Krug von Heinrich
Kleist unverzagt zur Scite stellt; ebcnso zeitlos wie der,
ebenso trocken und klar, cbenso unerbittlich, nur in
einer andern Technik. (Die Handlung behilft sich ohne
die Krücken der Enthüllung; die Spannung geht nicht
auf das, was gewesen ist, sondern daö, was kommen
wird.)

Völlig heimisch ist der Zerbrochene Krug niemals
geworden; unser Volk langt nicht auö für scine Dichter,
es kampft fortwährend den Kampf seiner bequemeren
Wünsche gegen ihre ftarken Forderungen. Dieses Bauern-
ftück wird ihm schließlich auffallen wie der Meister
Gottfried, weil eö garnicht weggeht, sondern trotzig ab-
wartet in seinem unverrückbaren Dasem. Allmählich
werden auch Schauspieler heranwachsen, es zu spielen.
EineS Tages wird niemand mehr wissen, daß diese
„Erde" sich nur einen kalten „Achtungserfolg" zunächst
erzwingen konnte; und man wird somit den Spruch
des Preisgerichts von I9O8 kaum noch abschätzen können,
wie wir es heute verwundert tun müssen.

Reinhold Treu.

Wissenschaft des Nichtwissenswerten.*

Der verstorbene FriH Koegel erzäblte in behaglichen
Abendstunden gern von einem Universitätsprofeffor, der cinmal zu
ihm ins Nietzsche-Archiv gekommen wäre, um sich den aus-
gefallenen Denker für sein Lebenswcrk zu sichern. Der treffliche
Hcrr verfaßte nämlich eine Geschichte der Philosophie und hatte
sich — in einem sonderbaren Anfall — entschjoffen, wenn er soweit
wäre, auch Friedrich Nietzsche zu behandeln. Er kannte bis dahin
seine Bücher nicht, und als ihn Koegel respektvoll fragte, ob es
nicht ratsam sei, sie vorher zu lcsen, da seine geschichtliche Auf-
fassung vielleicht doch noch in Cinigem beeinstußt werden könntel
da gab es nur cin weises Stirnrunzeln: Nein, wie gesagt, das
hat wohl keinen Aweck; wenn ich soweit bin, daß er bchandclt
wird, dann werde ich ihn lesen; vorher nicht.

An diese saubere Gelehrsamkeit mußte ich denken, als ich
Las stürmische Buch las, dessen Titcl allein schon ein glänzender
Spott ist, und das auch sonst die Crinnerung an den Nietzsche
der Unzeitgemäßen nicht übel weckt — und aushält. Denn auch
dieser junge Privatdozent ist kein Spotter aus Übermut, sondern
aus Not. Cr hal das Necht, scinem angeblichen Kollegienheft
das schöne Wort von Jakob Burckhardt als Motto vorauszusctzen:

" Cin Kollcgienheft von Ludwig Hatvany. Verlag Julius
Aeitler, Leipzig.
 
Annotationen