Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
[Besprechungen]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0048

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
„Für Gelehrsamkeit sorgt die jetzige historisch - antiquarische
Literatur — wir plädieren für ein lebenslang anhaltendes Mittel
der Bildung und des Genusses." Denn was er von sciner Freude
an den alten Dichtcrn sagt, das mag er sclber als ästhetisch be-
spotteln, es bleibt trohdem unvergeßlich! man spürt aus jcdem
Wort, hier hat eincr „Bildung und Genuß" daraus gewonnen
und damit das Recht, auf die „Gelehrsamkeit" zu verzichten.
Jm Ganzen freilich ist sein Buch eine Kritik, und zwar eine
bitterböse an Herrn Wocpke und Genossen, dic mit einem
bewundernswerten Sitzfleisch dafür sorgen, daß die Klassiker zer-
lescn und der Jugend nur in streng zerlesener Form übermittelt
werden. Aber kein Iweifel! hier seht sich ein scharfer Geist mit
den Hemmungen auseinander, zur Bildung und zum Genuß zu
kommcn; der notgedrungenen Kritik werden ungehinderte Gedanken
folgen. Wer den feinen Dergleich aus dcm jungen Nietzsche
bilden konnte, daß cr ein „wundersam kühncs und doch in sich
so schwaches Gewölbe über die Spitzen des Altertums und der
Gcgenwart" gebaut, bald aber „das Knistern und Krachen"
darin vernommen und sich noch beizciten hinübergerettet habe „in
jenen starken Bau, dcssen Fundamente er selbst gelegt hatte";
wer das freie Wort llber den klassischen Goethe wagen, oder die
schöne Darstellung Iuvenals geben konnte: der hat mchr als den
natürlichen Widerwillen gegen den Famulus Wagner in sich.

Vorläufig aber haben wir ein stürmisches Gemisch aus Wut,
Spott, Kritik und Begeisterung als ein Buch crhalten, das wir
alle lesen müffen! einmal, weil es eine so unbändige Freude
macht, dann aber, weil wir mit diesem „Trank im Leibc" etwas
helläugiger geworden sind, und zwar nicht nur für die Werke dcr
Kunst, sondern auch für die Wissenschaft davon. Denn hierin
scheint sich der Autor zu täuschen, es ist nicht die Ästhetenseele
in ihm (also die Kunst), die sich gegen die Gelehrsamkeit auflchnt,
vielmehr der klarc Denker, der auch mit seiner Logik an die
Dinqe selber kommen möchte, indeffen die „Philologenpotentaten"
mit ciserner Geduld die Türschlöffer daran untersuchen. S-

riechischer Frühling.

„Jch schreibe, meiner Gewohnheit nach, im Gehen mit
Blcistift diesc Notizen", sagt Gerhart Hauptmann auf Seite 40
des merkwürdigen Buches, das hier durch einige Bemerkungen
angezeigt werden soll. Mir fiel bei diesen Worten cine Nacht
ein, da ich am Hussengrab bei Konstanz, zwischen den hohen
Pappeln mit einem Frcunde, auch einem Dichter und keinem
unbekannten, stand. Cs mochte sein, daß der ein lyrisches Cr-
lebnis hatte; denn als wir nach einer Diertelstunde noch immer
schweigend in das silbernächtige Feld fortwanderten, fragte er
mich fast vorwurfsvoll, indem er stehen blieb: „Nun weiß ich
nicht, bei mir wirds ein Gedicht, was aber machen Sie mit
solcher Stimmung?" Cr dachte wohl, daß diese Viertelstunde
sür mich verloren sei. Jch aber sagte: Keine Sorge, ich tue
alles in meinen großen Topf hier innen, und wenn ich einmal
eine Suppe koche oder einen Brei, und das gebrauchcn kann,
dann ist es schon wieder da; und wenn es verloren geht in diesem
Topf, dcn wir Crinnerung nennen, dann war cs wohl nicht wcrt,
verwahrt zu werden.

Sachlich gesprochen! man hält den Cindruck als svlchen fest
und sucht ihn treu zu geben mit allem, was sich im Augenblick
aus der cigenen Seele an Gedanken, Crinnerungen und Gefllhle
hing — man ist cin Jmpressionist; oder man führt ihn dem
Material der Seele zu, ganz unbekümmert, was sie daraus cincs
Tages kllnstlerisch vcrwertcn kann. Beides kann zu schöncn Er-
gebniffen führen. Jch kann eine Landschaft schildern aus der
Crinnerung, wo das Nebensächliche vcrgeffcn ist und das Wesentliche
herauskommt, oder ich kann sie im Gehen mit dem Notizbuch
beschreiben. Gewiß habc ich dann nachher Hundcrte von feinen
Regungen, Cindrücken, Crlebnissen fiüchtiger Art festgehalten auf
dem Papier, die sonst im Untcrbewußtsein verloren wärcn; aber
weil ich dabei an die Cnge meines augenblicklichen Gesichts-
kreises gebunden bin, werde ich Haupt- und Nebensachen mit
gleicher Treue ncbencinander haben und dcm Leser mehr eine
Geschichte meiner Stimmungen als der Sache geben.

Jnsofern ist diese Griechische Neise vom Frühjahr I?O7, die
Gerhart Hauptmann uns auf 2öo Seiten aufgeschrieben hat
(S. Fischers Derlag), cine Sammlung reiner Jmpressionen, und
als empfindsamc Reise cines Mannes vom Anfang des zwanzigsten
Jahrhunderts, der zugleich ein reiner Dichter war, nicht leicht zu

lesen, obwohl sie in klaren und meist schönen Sätzen berichtet.
Zwangloser als ein Tagebuch, das doch meist die Auswahl eines
Tages am Abcnd sammeln will, gibt sie sich als eine Niesen-
leinwand, die impressionistisch bemalt ist; und das wird selbst
Max Liebermann nicht leugnen können, daß cine solche Lein-
wand den Jmpressionismus aä sbsurckuw führt. Cr gibt die
Welt als Ausschnitt im Rahmen eines Augenblicks und muß
in diesem engcn Rahmen bleiben, dann kann er so voll rätscl-
hafter und unerhörter Schönheit werden, wie es dic Bilder der
klassischen Franzosen und namentlich die neueren des Berliner
Meisters sind.

Trotzdem ist diese Griechische Reise von Gerhart Hauptmann
ein vicl schöneres Buch, als es nach dcm Abdruck einzelner Tcile
in der Neuen Rundschau schien! kein Buch zum Lesen, sondern um
darin zu lesen, hcute dies, morgen jenes. Und in diesem Sinn
simar cin selten schönes, auch wohl kostbares Buch. Scit dem
„Michacl Kramer" wiffen wir, daß der Dichter der „Weber"
viel mchr zart als robust ist, daß der Naturalismus ihm nur als
Technik aber nicht stofflich lag; daß er ein empfindsamer Mensch
im besten Sinn ist, einer, der die Cindrücke dcr äußeren Welt sehn-
süchtig aufsaugt, ein Lyriker viel mehr als ein Tragiker, trotzdem er
Bühnenstücke schrieb. Nicht, weil seine Kraft allmählich versiegt
wäre, sondern weil cr ein Kunstmittel gewählt hatte, das ihm
eigentlich nicht liegt, darum mußten seine Dichtungen schwächcr
werden, je mehr cr sich selber findcn und sebnsüchtig höher grcisen
wollte. Jnsofern steht ttotz aller Sprünge und Risse sein „Kaiser
Karl" dichtensch viel hoher und ist viel reiner als ctwa die be-
rühmten Weber, und wird sich auch länger halten, während jene
heute schon altfränkisch sind.

So hat auch der Dichter dcr Weber nichts mehr zu tun
mit jenem Gerbart Hauptmann, der mit schmerzlicher Sehn-
sucht die wunderhelle Heiterkeit des Griechentums in den Hirten-
gefildcn sucht. Vielleicht ist es überhaupt noch nicht so rein zum
Ausdruck gekommen, weshalb wir modernen Gcrmancn nicht
von dicser klassischen Welt loskommen; und ich möchte dicses
schönc Bekenntnisbuch um keinen Preis anders als mit dcm
Bleistift im Gehen geschrieben haben. Cs hat uns den Menschen
und Dichter, der aus manchen Stellen seiner Stücke uns so bis
ins Herz ansah, als Persönlichkeit hingestellt, die wir nun wohl
alle lieben und um der zarten Kultur willen auch bewundern
müffen. Wer will sagen, was von seinen Dramen lebendig
blcibt? Aber dieses Buch hat etwas von der inneren Sicherheit
großcr Bücher, und kein Gefühl ist stärker, als daß es noch
viele Jahre daliegen wird. Nicht weil die Heiterkeit des
Griechentums darin tiefer empfunden wird, als sonst in einem
modernen Buch, sondern weil unsere Sehnsucht danach darin so
tief verloren läutet wie die versunkenc Glocke seinem Meister
Hcinrich. Die leise Mischung schlesischen Geistes, die uns ein
wenig slawisch-wehmütig klingt, kann uns den Cindruck nicht
verwischen, daß wir mit dicser Reise in Griechenland eines der
deutschesten Bücher geschenkt crhielten. W. Schäfer.

llerlei vom Leben der Pflanzen.

Nach dcm Weihnachtsgetöse des Büchermarktes denke ich
mit der Empfehlung eines so stillen Buches, wie es der Lehrer
Lichtenberger mit seinem Leben der Pflanzen schrieb (Derlag
Schaffstein s- Co., Köln), aufmerksamere Leser zu finden. Dcr Ab-
druck des erstcn Kapitels (Seite Z l in diesem Heft) zeigt ganz
seine verständige und herzliche Art, Botanik an Lebewesen zu treiben,
den Kindern die Bäume, Blumen und Gräser als Mitlebende zu
zeigen, um sie unmerklich und lächelnd in das Rätsel des Lebens,
das auch das unsere ist, hineinzuführen. Das ist gewiß wert-
voller als hundert Bände der blumigsten Märchen oder Ge-
schichten aus „großer Zeit", und eigentlich sollten keine deutschen
Kinder mehr aufwachsen dürfen, ohne von dem Jnhalt dicses
Buches das meistc so zu wiffen, wie cs da steht, so als An-
schauung des Lebens, nicht als gelerntes Ieug. Auch wem von
uns Großen nicht alles, was Lichtenberger darstellt, so seltsam
neu ist wie den Kindern, wird sich trotzdem freuen, mit wieviel
Gewandtheit und Liebe es geschieht. Da das Buch zu den
Schaffsteinschen Dolksbüchern gehört und atso gebunden nur
l Mark kostet, liegt auch im Preis kein Hindernis, es bald auf
allen Kindertischen zu sehen, gcrade jetzt, wo mit dem Januar
und seinen verhüllten Knospen ein Jahr des Lebens anfängt, sich
zu entwickeln. S.

Herausgeber W. Schäfer, Verlag der Rheinlande G. >n. b. H., Druck A. Bagel, Düsseldors.
 
Annotationen