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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 5
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Treu, Reinhold: Ferdinand von Saar und die Gesamtausgabe seiner Werke
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Carolus: Meine Vasen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0197

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Mcine Dasen.

kommcn. So sncht scine Sätzc gehen, scin Tcmpo ist
rasch und man mnß geübt sein, Sätzc zu lesen, statt
nur Worte zu übersliegen. Kein Autor für die moderne
Lesegier, die vor Tauscnden von Sciten nicht zurüek-
scheut, aber jede ernste Bemerkung übcrschlägt.

Nun können die Deutschen seine 32 Novellen in
vier Bändcn sür zehn Mark kaufcn, wobci sie noch
seine Dramen und Gedichte sowie die Biographie von
Bettelheim in dcn Kanf bekommen. Ob er nun end-
lich, der mit dieser Ausgabe ein „Klassiker" geworden
ist, che er ein Lebcndiger war, aus die deutschc» Bücher-
brctter kommt? Es gibt Schicksale, die über den Tod
hinaus unabwendbar scheinen. Solltc seinö wirklich
dazu gehören? Für das deutsche Volk wäre es ein
Verlust. Wenig Sachen scheinen mir sür meinc lesenden
Zeitgenossen so wert, wie diese Schriften. Sie gehörcn
nicht zu den großen Sachen der deutschen Dichtung;
sie sind vielleicht nur Unterhaltungslektüre, aber sür
einen Zustand der höchsten Bildung, von dem wir mit
unsern Ganghoser, Viebig, Herzog, Iahn und Heer ach
wie weir entsernt sind. Reinhold Treu.

Meine Vasen.

Wie sehnen meine Vasen sich nach Blumen!

Schon schwang sich eine Lerche übers Feld
und hing so hoch und schüttete wie Tropsen
die silberne Fülle ihrer Lieder aus.

Doch an den Hängcn weinte noch der Schnee.

Unter der Sonne schmolz er, und seine Tränen
rannen den Hang hinab und netzten den Rasen;
aber die Nacht ermannte ihn: „Weile! weile,
noch ist Winter, noch blühn die Blumen des FrostesH -

Hoch auf der Wetterfahne zirpte ein Star,

ein einsamer Star. Er schlug mit den Flügeln und girrte:

„Komm, Starin, wo bleibst du? Komm, Starin, baun

wir daö Nest."

Doch Regen und Schnee und Hagel nur gaben ihni

Antwort.

Der Hagel schlug die starren Fensterscheiben
und lachtc — hu, sein Lachen war wie Eis —,
und höhncnd lachte er den Knospen zu:

„Friert euch? Ha-He, ha-he, ich bin der Tod." -

Nun aber kam er über eine Nacht.

Ein roter Abend kündete ihn an,

dann zog mit Sonnenglanz und Knospenklang

der Frühling ein:

„Guten Lenz, Blumen!

„Guten Lenz, Vögel!

„Guten Lenz, Menschen! —

„Gut Lenz! Gut Lenz! ihr srühlingfrohen Geschwister
„Gut Lenz, ihr alle, ihr Kinder von Sonne und Regen,
„herauS aus dem Bett, aus dcr Erde — der Frühlinq

weckt euch!" —

Wie knackten plötzlich alle meine Vasen
und klirrten. Ei, der Lenz bläst durch die Lust
und dehnt die spröde, glänzende Glasur.

Knack — klirr — kling — cs ist Frühling.

Alö dann die Sonnc blieb und blieb und blieb,
da wuchsen aus dem letzten Märzenschnee
die ersten weißen, grüngetupften Glvckchen,
da dehnten unterm Laub die Leberblümchen
die blauen Blüten,

da flogen schon ein - zwei Zitronenfalter,

sogar ein Pfaucnauge, sonnenbunt,

da krochen aus den Winterlarvcn Mücken,

und Käfer wälzten sich, noch fteis und plump,

und aus dem Busch, der heiß die Knospen drängte —

— was wars? — die Amsel? — o, cin Amselschlag.

Kinder, die Amsel singt,
bald anch die Nachtigall,
nun ist es Frühling!

„Winter ade, ade,

„scheiden tut weh, tut wch."

Etsch, nun ift Frühling. —

O Gott, wie klang dcr erste Amsclschlag!

Du Freund,
du Freundin,
du liebe Geliebte!

Du Bruder,
du Schwester,
du einzige Mutter!

Du Welt, du große gräßliche Welt,

ich hab dich doch lieb. Wie bist du schön!

Wie sehnen meine Vasen sich nach Blumen!

Schon bringen sie die srühlingtollen Hände,
um euch zu schmücken, Vasen. '

Noch sind es wenige zwar, bescheidener Schmuck:
Schneeglöckchen nur, Märzglöckchen, Leberblümchen —

— wie kost dcr Frühling mit den ersten Kindern
der Sonne, o wie zärtlich nennt er sie:
„Schneeglöckchen, Märzenglöckchen, Leberblümchen." —
So wenige sinds, und viele Vasen warten

in meinem Iimmer auf die duftigen Blüten.

Sotl ich sie alle nennen ?

Die hohe cnggehalste weiße,
die mit den fließenden Glasuren,
und dort die derbe, buntgetupft?

Die blaue, die wie Saphir glänzt,
glüht nach berauschenden Narzissen,
nnd jene erdig grünc sehnt
nach Farben sich, nach beißen Farben.

Soll ich sie alle nennen? Jene auch
mit der Erinnerung im geschliffenen Glaö?

Sie auch? — Als einst ein Glück — es war so klein

und schien mir doch unendlich groß —

als einst cin Glück mir jäh entglitt,

ein Glück, das Menschen Liebe nennen,

als ich verzweifeltc, da griff mein Iorn

nach jener Vase — seht ihr sie? - nnd wars

das Glas zu Boden, daß es klirrend sprang —

kling — es blieb heil. Und ich, auch ich blieb heil.

Soll ich sie alle nenncn?

Einmal wars

im letzten Jahre. Lange blieb der Schnee,

und kling klang klirr und klirr und klang und kli'ng,

so ging cs Tag und Nacht nnd Nacht und Tag.

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