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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 6
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Sutter, Otto Ernst: Gartentagebuch
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Besprechungen und Notizen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0236

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Gartentagebuch.

Reife belädt mit ftillen Händen jede Staude und färbt
sie mit tiefen Tönen. Weißgeballte Wolken ftreichen in
langsamer Fahrt über den blauen Himmel und schauen
verwundert in meinen Garten, und der Mond träufelt
sein Silber über die schlafcnden Blüten. Daö Geißblatt
hat zum zweitenmal zu blühen begonnen, aber sein Duft
entbehrt der Wärme des Sommers ....

10. Oktober.

Der Morgen hatte einen starken Reif über die Erde
gelegt und die blauen Astern, die sich noch kaum ge-
öffnet, erfrieren lassen. Der Gärtner half mir ein paar
Geranien ausheben, die ich überwintern will, und auö
den braunen Sonnenblumen die Kerne schütteln. Jetzt
ist allein die Hauswurz noch grün und drückt ihre
Blätter eng zusammen ....

So mag der Boden ruhn und Nahrung bereiten
dcm neuen Sprießen und Blühen ....

ZO. Oktober.

Jch habe die Kronen der Rosenbäume zur Erde ge-
bogcn und im schützenden Boden geborgen und ihre
Stämmlein nrit Stroh und Tannenästen bedeckt. Ein
kalter Wind segte über die kahlen Felder, und die dürren
Blumenstauden zitterten wie die schlecht bekleideten Kinder
armer Leute ....

15. November.

Der erste Schnee hat ein weißes Linnen über den
Garten gebreitet.

20. November.

Aus meincn Fcnstergesiinsen stehen Töpfe mit Hya-
zinthen und Tulpenzwiebeln. Weiße Papiertüten schützen
die erften keimenden Blätter. Und bei der Lampe ver-
senke ich mich in alte und neue Gartenbücher aus manche
Stunde.... vom Blühen meineö Eigenlandes träume
ich die stillen Winterabende ....

Besprechungm und Notizen.

er himmlische Zecher

nennt Alfred Mombert eine Auswahl seiner Gedichte,
dic soeben im Derlag von Schuster A Loeffler, Berlin, erschcint;
94 Gedichte auf 112 Seiten im Pappband.

Auch hiermit wird der „vernünftige" Lcser, der unsere Be-
wunderung des Dichters Mombert kaum ernst nehmeu kann, noch
wenig anzufangen wiffen. Weil ihm die natürlichen Bcziehungcn
zu dieser Art von Kunst — genau genommen zur Kunst Uber-
haupt — fchlen. Er mag noch so viel schöne Worte von dcr Kunst
des Dichters lesen: wenn er keinen Jnhalt findet, dcr ikm ver-
ständlich und angenehm ist, steht er ohne Schlüffel vor der Tür.
Und die Eigentümlichkeit der Mombertschen Lyrik ist — »om
Laienstandpunkt aus gesprochen — daß sie ohne einen leicht zu-
gänglichen Jnhalt Kunst macht.

Auch sonst ist ein Gedicht etwas anderes, als daß von der
Liebe, vom Mondschein, von dcr Cwigkeit schöne Gedanken und
Gefllhle gesagt werden; erst wenn sie in eiue rhythmische Faffung
kommen, wo der Klang und Takt der Worte, der Fall der Reime
mit dem Jnhalt in eins zusammenklingt, beginnt der Dichter,
und nicht im Achalt sondern in dieser rhythmischen Faffung
liegt die Kunst. So ist es wohl zu denken, daß ein Dichter
eines Tages - - von Herzen deffen überdrüffig, was der Leser an
Jnhalt in seinen Versen sucht — das Klang- und Sinnspiel der
Worte ohne de» Krammarkt der landläusigen Vorstellungen ver-
sucht, daß er sich ohne Nückksicht auf das Verständnis dcm
rhythmischen Gewoge der Sprache hingibt, seine Sensationen in
ihr glcichsam inkognito erlebt: das wäre ungefähr dcr Fall Mombert.

Dom Laien betrachtet; denn wie ohne Waffer kein Katarakt,
ist natürlich ohne Vorstellungen — wenn die Gedanken und Ge-
fühle dazu auch nicht landläufig sind — kein Wcllenschaum der
Worte möglich. Die Welt besteht nicht nur arck de» Dingen,
die dem Durchschnittsgehirn geläufig sind; außer der Liebe und dem
Mondschein gibt es noch einige andcre Rätsel, die ein Menschen-
herz erregen können, z. B. „Gott und die Träume", wie es Mom-
bert einmal formuliertc, oder den „Uebergang vom Er zum Jch".
Es ist gewiß begucmer, sich einc Welt und eine Menschheit mit
Fortschrittcn, Jdealen und Crfindungen vorzustellen, darin „ffch" die
durch meinc Geburt vorbcstimmte Rollc bis in den Sarg spielt; aber
wenu eines Tages das Bewußtsein sich gegen mich selbcr richtet: wie
komme ich dazu, dieses alles zu sehen, zu denken, zu fühle» ? Wer ist
dieses Jch? Dann können die Antworten schon so rätselhast
werden, wie der Inhalt der Mombertschen Gedichte.

Daß er nicht immer so logisch im Sattel sitzt wie der liebende
Mondscheindichter, ist am Cndc zu verstchen; und daß bei ihm
wundervolle Aeilen mit notdürftigem Flickwerk der Worte wechseln,
auch. Schließlich sind alle Worte plumpe Ausammenfaffungen
schr komplizierter Dinge und fllr das Unsagbare wcniger geeignet
als Töne oder Farben. Da geht ein Sinn und Klang, der dem
Dichter darin cingefangen schien, leicht wicdcr verloren, wcnn der

Leser sie in seine ungeübten Hände nimmt. Darum braucht cin
Derzückter nicht gleich ein Verrückter zu sein, wie ein handfester
Psychiater gewiß aus Hunderten von Stellen Mombertscher
Dichtungen beweisen könnte.

Der Sinn dieser Auswahl ist der, aus dem Geröll und Schutt
solcher Verzückungen in Gott, wo das Bewußtsein dcs Dichters sich als
das Bewußtsein der Welt — also Gottes — fühlt: die klarer gewordenen
Gedichte, in denen gleichsam dcr Emaillefluß vollendet ist, zusammen-
zustellen. Cs sind aus diese Weise — wenn nichts anderes erreicht
ist — wenigstens nur noch 94 zum Teil ganz kurze Gedichtc.
Dic zu lesen, findet am Cnde auch einer die Geduld, der zunächst
nichts versteht. Leicht möglich, daß er bei der Schönheit einzelner
Aeilen hängen bleibt und sich von ihnen aus allmählich doch aus
den Waffern dieser Schöpfung festes Land gewinnt. W. Schäfer.

agister Laukhard.

Magister F. Ch. Laukhards Leben und Schicksale, von
ihm selbst beschrieben. — Bearbeitet von Dr. O. Petersen, Ein-
leitung «on Paul Holzhausen. 2 Bände. Stuttgart bei Robert Lutz.

Memoiren gehören nicht eigentlich in die Literatur. Sie
sind sogar in gewiffem Sinn literaturfeindlich, indem sie das
Publikum der Dichtung entsremden und ihm ein Surrogat
gcben, das die verlockende Marke des Crlebten trägt. Die meisten
Memoirenleser nämlich sind Lcute, denen ein Buch nicht als
Werk eines Dichters gilt, sondern als lebcngetreue Niederschrift
pikanter Alltäglichkeiten oder intereffanter Absonderlichkeiten. Diese
Lcute spielen vor jedem Kunstwerk die gleiche Nolle: bckommen
sie eine Dichtung in die Hände, fragen sie zuerst nach der Authen-
tizität der Fabel; vor einem Bild ist ihr ganzes Intereffe das
Motiv, und Musik schätzen sie nach dem tanz- oder sangbaren
Takt ein.

Auch Magistcr Laukhards Leben und Schicksale, die in
Lutzens „Memoirenbibliothek" erschienen, werden sich in der Haupt-
sache an dics Publikum wenden müffen, denn die Aahl jener,
die begreifen, weshalb Goethe das „wahrhaft Biographische"
schätzte, wiid immer beschiänkt bleiben. Daß wirklich die Ma-
gisterschicksale aus dem Ende des 18. Iahrhunderts vor allem für
dies im schlimmsten Sinn unliterarische Publikum exhumiert
wurden, beweist die Tatsache, daß der zweite Band, in dem das
„wahrhaft Biographische" in der Lust am Schwätzen verlorcn
geht, um ungewöhnlichen Erlebniffen Platz zu machen, vor Ab-
lauf des Crscheinungsjahrs (1908) die vierte Auflage erreichte,
während der erste, menschlich und kulturgeschichtlich wertvollere
und lebensfähigere noch keine neuen Ringe angesetzt hat.

Die Neuherausgabe dieser Erlcbniffe des oerkommenen Theo-
logcn Laukhard trug die Note des literarischen Creigniffes und
wurde allgemein freudig zustimmend begrüßt, woran zum Teil
wohl die zeitgemäße Vergangenheitfexerei schuld war, wenn auch
der sachliche Wert »or allem dcs erstcn Teils nicht bestritten
 
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