Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Naumann, Friedrich: Wir Deutsche
DOI Artikel:
[Besprechungen und Notizen]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0121

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
wir Deutsche etwas hineinbringen in die Weltkultur,
dann ist es diese Arbeit, gegründet auf höchstes Können.
Wir haben keine Baumwollplantagen, keine Kaffeefelder,
die wir selber bearbciten können, wir habcn kein eigeneö
Gold, aber wir haben ein Menschenmaterial, mit dem
sich Ungeheures machen läßt, wenn es mit seinem treuen
Fleiß aus die Bahn gebracht wird, zu tun, was es
tun kann.

Jn diesem Sinne sollen die Deutschen formgebend
werden, weil, wenn sie der Welt ihre Form aufprägen,
sie auf Jahrhunderte hinaus Kunden gewinnen. Wer
dcn Leuten eincn vorübcrgehendcn Schund bietet, der
verkauft heute an sie, und es kommt in zehn Jahren
jemand aus Alexandrien und bietet ihnen daSselbe, und
sie kaufcn es bei jenem. Wer aber etwas bietet, waS
Qualität im höheren Sinne des Wortes ist, dem bleiben
die Kunden treu, teils aus Verstand, teils aus Ehr-
gefühl. Wenn wir nämlich jenes Renommee einmal
auf uns konzentrieren können, was Paris beispielsweise
hat, so wird dieses Renommee, wie Muthesius sagtc,
eine Rente sein für Kind und Kindeskind.

achbarn

nennt Hesse sein neues Buch, und ich denke, man wird
diesen Titel besser verstchen als „Diesseits". Cs sind wieder
cinzelne Crzählungen, fünf Stücke aus dem bllrgerlichen Leben,
am wenigsten gelungen das erste, wo er sich gewissermaßen der
Landschaft bcgibt und einem kleinen Kaufmann in seinen Krämer-
laden folgt; am schonsten das letzte Stück, wo er die Sonnen-
brüder nacheinander mit einem Behagen schildert, daß man jeden
dieser Armenhäusler ordentlich liebgewinnt.

Alles abcr in dicser schonen dcutschen Sprache geschricben,
die sich niemals einer fremdcn Zunge abh'ört, wie es unsern besten
Prosaisten reichlich passiert, die klar und gelaffen aus dcm Q.uell
unseres deutschen Sprachgefühls fließt und gerade jenen Über-
klugen zur Beschämung dienen kann, die an Hermann Heffe eine
sp'ottische Kritik ansetzen möchten, weil soviel tausend Deutsche
nach seinen Büchcrn greifen. Cs gibt nur ein paar Menschen in
Deutschland, die so den Klang eines schönen und behaglichen
Sahes im Blute haben. Natürlich könnte man sich eine Sprache
schwärmerischer, rascher, knapper, kräftiger, wuchtiger, flüsternder,
feierlicher denken — je nachdem man Neigung hat: aber wer
schon den geruhsamen Vollklang der deutschen Sprache sucht —
und cinige sinds ja immcr noch seit Goethc und Keller, die ihn
suchen - der wird fürs erste schon nichts Schönercs finden, als
Hermann Hcffe. Und das Schönste ist, wie diese „Nachbarn"
zeigen, daß sein Ton immer reicher, selbständiger und »oller
wird. W. Schäfer.

Herbste deö Lebenö.

Untcr diescm altmodisch-poetischen Titel hat Hans Thoma
alles gesammelt, was ihm dem Maler Geschricbencs unterlaufen
ist. Obwohl er in einem launigen Vorwort bemerkt, daß fast
alle Blätter seines Buches im Herbst (nach seinem sechzigsten
Geburtstag) abgefallen und darum so bunt seien: einc verhaltene
oder verheimlichte Lust zum Schreiben muß er wohl immer ge-
habt haben, wie feine „aus alten Skizzenbüchern abgerissenen
Blätter und Sprüche" am Schluß des Bandes beweisen. Und
aus seiner Photographie aus dem Jahre I8o4, die dem Band
vorausgcstelll ist, könnte man wohl auf einen Poeten, einen ge-
danklichen Lyriker schließen.

Er hat auch tatsächlich in seincn Naturschilderungen immcr
wieder Wendungen, die einem Dichter nicht übel ständen, starke,
anschauliche Vergleiche, auch eine Art, durch drastische Einfälle,
Crinnerungen aus seinem Leben dcn Gang einer Betrachtung zu
durchbrechen. Dabei ist er durchaus kein Schwärmer, der sich
in Schildcrungen verliert, sondern ein kluger sarkastischer Kopf,
der sich im Aaum hält und die Gelegenheit, irgendwem so leicht-
hin eins auszuwischen, nicht immer versäumt. Trotzdem ist es
dcr Maler, deffen wohlvertraute Art man immer wieder erkennt,
der einem das Buch lieb macht; und wenn ich zu wählen hätte
zwischen den biographisch erzählenden und den kunstbetrachtenden
Kapitcln: ich wllrde mit einem wehmütigen Blick auf die andern
doch die lctztere» nehmen. Denn der Mann, dem man so reich-
lich als Maler sein Gemüt vorgeworfen hat, ist ein kaltblütiger
Kopf, der zwar hier und da etwas hitzig werden möchte, sich
aber soglcich wieder durch einen humoristischen Spott in Ordnung
bringt. Ciner von den Wenigen, die durch nichts mehr aus dcm
Geleise zu bringen sind; eine gejchlossene aber nicht abgeschlossene
Welt für sich, und daß da immer wieder der Schwarzwald mit
seinen Bergen hineinschaut, ist das Heimelige daran, das zu lieben
wir uns nun einmal nicht abgewöhnen können, und zwar nicht
nur in der Poesie.

Cin ganz besondcrer Genuß aber ist es, aus seinen „alten
Ieiten" auf einmal die Kunstwelt von damals genau mit den
überflüssigcn, großartigen, duckmäuserischen, vergrübelten und ver-
einsamten Cxistenzen aufmarschieren zu sehen, die wir heute —
wie also wohl zu allen Aeiten — in moderncr Aufmachung be-
trachten können. Man wird bei seinem klaren auch spöttischen
Urteil ganz lüstern danach, auch einmal über die Heutigen etwas
zu h'örcn, und ist ihm dennoch dankbar für den Takt, dergleichen
zu vermeiden.

Unsere Stichproben auf Seite l0I dieses Heftes werden selbst
den mißtrauischen Leser überzeugen, daß diese Herbstblätter nicht
nur ungewöhnlich sind, weil sie von Hans Thoma gesammelt
wurden. S.

ber Naturheilkunft

von Georg Sticker (Verlag von Alfred Töpelmann) in
unserm Blatt zu berichten, mag weither geholt erscheinen. Aber
cin solches Vernunftbüchelchen, wie es die (auf Seite 104) ab-
gedruckte Stelle zcigt, ist nicht nur amüsanter zu lesen als manchcr
Noman unserer Acit, mir scheint auch, gerade wir „empfindsamen"
Menschen hätten es mehr als andere nötig, dergleichen zu lesen.
Jeder zweite von meinen zahlreichen Bekannten entpuppt sich eines
Tags als Hypochonder oder Neurastheniker, wäs bei der täglichen
Beschäftigung mit der Tiefe des Gemüts kein Wunder ist. Aber
auch von diesen „Kllnstlernaturen" abgesehen, sind wir in eine
Art von Krankenpflege hinein geraten, bei der die Gesunden ent-
schieden zu kurz kommen. Es ist schon gut fllr uns Hypochonder,
wenn, nicht nur gegen die Q.uacksalberci sondern überhaupt gegen
die Überschätzung der Krankheit einmal so ernst und gründlich
gesprochen wird, wie es der Bonner Professor in diesem Buch
tut. Cs sind vier Reden, zur Aufklärung über die sogenannte
Naturheilkunst und zur Verteidigung der wiffenschaftlichen Heil-
kunst gehalten. Jhr Vorzug ist der drastische Vortrag, und daß
man aus seiner Logik rasch das Bild einer freien Persönlichkeit
gewinnt, der man nicht nur gern zuhört, sondern auch manchcs
glaubt, was man dem Arzt schlechthin leicht verweigert. S.

bcx die Gründung des WerkbundeS

wurde seinerzeit berichtet. Nun erscheint im Verlag von
N. Voigtländer in Leipzig ein vollständiger Bericht der Ver-
handlungen am II. und 12. Juli l-08 in München: „Die
Veredlung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von
Kunst, Jndustrie und Handwerk". Das ist kein anziehendcr Titel
und erst recht kein deutscher, auch kommt das Büchlein cin bißchen
spät. Denn nicht alles, was damals geredet wurde, hat eine
absolute Geltung; und da es sich nicht um Wiffenschast sondern
um Leben handelt, beinahe ums tägliche Leben! so wirken diese
„nachgelaffenen" Reden etwas überflüssig, besonders wenn am
Schluß der stürmische Beifall verzeichnet steht. Jmmerhin, wen
die Frage unsers Handwerks wirklich angeht — und deren sind doch
wohl vielc — wird noch hcute mit Nutzen in dem Buch lesen.
Wenn Leute wie Muthesius, Theodor Fischer, Kerschensteincr
sprechcn, dann fällt von selber manches kluge Wort; und wenn
man auch die nachgeschriebene Rede von Friedrich Naumann
nicht mehr als „Crlebnis" empfindet, wie es dcr Versammlung
mit dem frci gesprochenen Wort ging: so ist sie doch in manchem
Satz anregend und beherzigenswert. Dafür möge das Stück
zeugen, das wir daraus abdruckten. S.

105
 
Annotationen