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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 1
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Schaffner, Jakob: Der Kilometerstein
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0033

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er Kilometerstein.

Von Iakob Schaffner.

(Hermann Hesse hat zwar seinerzeit „Die Laterne",
das zweitc Erzählungöbuch unscres rheinländischcn Landö-
manns Jakob Schaffner, sehr empfohlen. Aber mit
rätselhaftcr Kühle wehrt sich dcr deutsche Leser, der
unterdefsen - wie die Auflagen der „erfolgreichen
Autoren" beweisen — ein wahrer Gierschlund geworden
ist, gegcn ihn, wie er seinerzcit wedcr Gottfried Kellcr
noch C. F. Mcyer auskommcn lassen wolltc. Jch nenne
dic bcidcn nur, wcil sie Landsleute deS Baslers Jakob
Schaffncr sind; seinc Art zcigt viel chcr aus dcn Nord-
deutschen Raabe als auf diese. Jch druckc mit Erlaub-
nis deö Vcrlegerö (S. Fischer, Berlin) hier ein Stück
der Sammlung ab, um unsern Lesern zum wenigsten
das Gcsiändniö abzuzwingen, daß hicr ein Dichter mit
der deutschen Sprache hantiert- Jch persönlich bin der
Meinung, daß dieser Kilometerstein einmal zu den be-
rühmten Stückcn deutscher Prosa gerechnet werden wird.

* *

*

Die Zeit ging gegen Mitternacht. Der Sturm war
loö, der Himmel mit dunklem langgestrecktem Gewölk
belebt, daö an einen aufgeregten endlosen Iug Delphine
erinnerte. Über dem Gewölk schien der halbe Mond.

Der Kilometerstein Nr. 34 neben der Landstraße
schimmerte surchtsam durch die erregte Dunkelheit. Eö
war ein kleiner weißgekälkter Basalt. Seine einzige
Nachbarschaft bestand auö eincm entlaubtc» altcn Nuß-
baum, der überm Straßengraben zwei Schritt im Acker-
feld drin stand. Der Nußbaum bewegte seine Nste im
Sturm durcheinander. Eö sah auö, wie zwanzig sinn-
los aufgreisende Arme eines einzigen srischgeköpsten
Rumpfeö. Jn ciner Astgabel saß unbehaglich eine Eule
und schrie; ihre glühenden Augen schwanktcn in dcn
Zweigen mit der allgcmeinen Bewegung hin und her
wie zwei Diebölaternen. Hundert oder zweihundert
Meter jenseitö der Straße ging ab und zu ein Mond-
gespenst ohne Füße langsam-vor einem Wald vorbei.

Ein Glockenschlag suhr >m Sturm über die Straße.
Es war dreiviertel. Glcich daraus setzte ziemlich plötzlich
der Sturm ab; eö wirkte, wie wenn eine Halle voll
Maschinen stillgestellt wird. Iugleich fiel der Mond
zwischen das Gewölk, wodurch die nächtige Gegend mit
der einsamen Landstraße sofort mit eincm helltrüben
Licht überschwemmt wurde. Wald und Feld ward in
Sichtbarkeit gezogen. Ein Dors verbarg sich vor der
untraulichen Wctterhclle hinter der Straßenbiegung. Aus
der Straße näherhin erklang kurz abgerissen daö Rollen
eines Fuhrwerkö, daraus allein der völlig regellose Hus-
schlag eineö Pserdes. Eö tönte, als ob das Pferd scheu
gewordcn sei vor dem raschen Regenschein; und wie noch
ein Wolkenschleier vor dem Mond riß, trat in sichtliche
Erscheinung, daß cin Schimmel zwcihundcrt Schritte in
der erhellten Nacht schräg vor einem Fuhrwerk über der
Straße stand und mit den Husen ausgeregt den Boden
schlug, ohne sich vor- oder rückwärts zu bewegen.

So schnell wie sich die Gcgcnd illuminiert hatte,
trat die Finsternis wiedcr zu. Ein dunkler, fischgestaltiger

Wolkenleib schwamm herbei und schob sich platt in den
hellen Riß. Wie Ruß und Tinte fiel eö auö dcr Höhe
in dic Helligkeit hinein; in Zeit von ciner halben
Minute war 'das Dorf hintcr dcr Straßenbicgung wieder
in die Nacht cingeschwärzt, und Feld und Wald aus-
gewischt, alö wären sie nicht vorhanden. Furchtsam
wie zuvor schimmerte der klcine weiße Kilometcrstein
um sich- Schwarz ragte der Baum vom Feld in die
Nacht auf. Ein Stückchen Straße dämmerte bleich
vorbei und verlor sich zehn Schritte auf und ab spurlos
im Dunkel. Der Sturm setzte wieder ein, und die
Eule, die so lange geschwiegen hatte, begann aus ihrem
Sitz wieder zu schreien.

Es vergingen daraus etwa acht oder zehn Minuten
unterm zunehmcnden Brausen und Pseifen deö Sturmeö.
Vom Nußbaum fiel ab und zu ein abgebrochener Zweig
neben dem Kilometerstein herab. Die Finsternis lebte,
Jetzt hob sie sich eine halbe Mannöhöhe vom Boden,
schwebte einen Atemzug lang schwankend in der geringen
Höhe und sank mit fühlbarer Schwere aus die nassen
Felder zurück. Nun verdichtete sie sich mit Iuzug von
außen her; dann trat sie gleichsam einen launischen
Schritt in sich selbst zurück.

Die Eule wandte ihre Augen nach der Richtung des
Dorseö gegen die Dunkelheit. Dort herauS erklang in
großer Nähe wieder das kurz abgebrochene Räderrollen
durch den Sturm, und dann das aufgeregte Husschlagen
des Pserdes. Das Geräusch gab das Anhören, als ob
das Pferd rasend galoppiere und dazwischen plötzlich
einhalte, um sich aufzubäumen, aber es kam immer
von derselben unsichtbaren Stelle. Mitgeschehend be-
gann eine männliche Stimme zu schelten, durcheinander
hell, rauh und heiser vor Zorn und Ausregung, und
die Worte erwiesen, daß dem Menschen die Situation
so wenig gehörte wie dem Tier. Dazwischen strengte
eö immer einen Ruck in die Stimme, der vom wieder-
holten wütenden Anreißen der Iügel herrührte. Endlich
begannen Peitschenhiebe zu sausen, Schlag aus Schlag,
zchn, süuszehn, zwanzig, drcißig. Die Pcitschc pfiff
und klatschte. Das Pserd schlug rasende und inimer
rasendere Wirbel mit den Hufen. Der Sturm brauste
voll und orgeltönig über das Feld heran. Die Finster-
nis stand mit geheimer Bewegung gruppenweise umher.

Ein großer schwarzer Neufundländerhund tauchte aus
dem Dunkel auf. Er trabte einige Schritte, dann blieb
er stehen und sah gegen den Wald, vor dem wieder
eine Lichterscheinung vorüberging. Er besand sich sicht-
lich in Angst und Erregung. Seine Augen leuchteten,
bisweilen flackcrten sie auch gefährlich auf. Die Iunge
hing ihm lang aus dem offenen Maul, seine Lungen
arbeiteten angestrengt und mit Geräusch, und seine
Weichen flogen. Er knurrte und setzte sich wieder in
Gang. Als cr aber in die Nähe dcs Nußbaumes
kam, warf er sich mit gesträubtcn Haaren scharf herum
und bcgann ihn zornig anzubellen, erst in kurzen,
gellen Haderlauten, dann in überhandnehmender Furcht
immer anhaltender, bis ein langgezogeneS wildeS
Heulen daraus ward. Das griff der Sturm srisch
aus; cr riß es ihm heiß von den Zähnen weg und
stob damit klingend und singend in die ausgewühlte
Nacht hinaus.

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2!

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