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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 1
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Lux, Joseph August: Kunstgenuss im Automobil
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Hauptmann, Gerhart: Im Theater des Dionysos
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0038

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Kunstgenuß im Automobil.

sich ms Endlose türmt, perspektwisch die Decke durch-
bricht und in alle Hirnmel fteigt. Die ganze Stadt
ift Bewegung, Tanz, Prunk, der an allen Fassaden, in
allen Kirchen Fefte feiert. Veitshöchheim, zwei Stunden
vor der Stadt mitten im Rheingebirge, ift dasselbe,
allerdings in Verkleinerung, cin höfisches Schäferidyll.
Steinerne Faune, geschnittene Hecken, bemooste Bänke,
desekte Iwiebeldächer über dem Miniaturschlößchen, das
sind die Fragmente des Liebestraumeö, den das galante
achtzehnte Jahrhundert, Fürsten und Abbss geträumt
haben. Seltsam ergreisende Fragmente. Sie gehören
wie jede erstarrte Pose des vergangenen Lebens zu den
feinften Genüssen der künftlerischen Automobilreise. Der
Dichter wird das Übrige sagen, in zarten Worten und
Stimmungen, an denen ein Hauch von verdorrten
Rosen ist, ein schwebender Geift aus dem Riechsläschchen
der Vergangenheit, etwas Moder, etwas Parsüm, jcncs
undefinierbare Etwas alter begrabener Liebesgeschichten.
An den FestungSgräben und Schanzmauern, die groß-
zügig sind in ihrer Massigkeit und zweckbewußten Ein-
sachheit, offenbart sich der Jngenieurwille des achtzehnten
Jahrhunderts, der die Physiognomie dieser Stadt charak-
teriftisch bereichert. Jn Würzburg schließt sich ein
Berliner Herr unserer Automobilgesellschaft an, der uns
telegraphisch ausgekundschaftet und von Mannheim her
mit dem kürzesten Schnellzugsweg eingeholt hat. Er
will Schlösser sehen, einsame Schlöffer tief im Lande.
Nicht nur sehen, vielleicht auch kanfen. Ja, das ifts.
Wir fahren die Kreuz und O.uer auf der Jagd nach
alten Schlössern. Das liebliche Weinland um Würzburg,
die Viertelstundenwanderungen durch Dörfer in der
Richtung nach Bamberg, die Dorfwanderungen in
Marktbreit, in Ochsenfurth, in Eberbach ereignen sich, und
Schlösser werden gesehen, wo sie kein Mensch ahnte.
Von außen fürftliche Repräsentation, und innen einer
Scheune gleich. Die Außenseiten sind verblieben, die
bloße Haut, aber innen ist die Kunst verdorrt und ver-
dorben. Hier ist ein Zuchthaus inftalliert, dort eine
KleinwohnungSwirtschaft, in jedem Fall daö Verderben.
Und so ists auch in der bischöflichen Residenz Bamberg.
Der Wurmstich sitzt im Herzen der ftolzen Gebäude.
Der Hcimatschützler aus Köln hält Vorträge über alte
Städtebaukunft, im Automobil, in Dörfern und Städten,
bei Tag und bei Nacht, wo wir gerade sind. Die
Beispiele und die Gegenbeispiele fliegen ihm nur so zu
wie zahme Vögel. Er kann sich gar nichts Besseres
wünschen, als ein Städtebauseminar im Automobil.
Vorträge haben den unschätzbaren Vorteil, daß man
nicht zuzuhören braucht. Man ist der Gefahr enthoben
angeredet zu werden und kann ruhig seinen eigenen
Gedanken nachgehen. Faft wie im Konzert. Natürlich
lagert auf all diesen Wegen ein Antiquitätenhändler,
der unö daö Nötige abknöpft. Was man in Schlöffern
und sonstigen alten Gemäuern vergebens sucht, hat
diese Hyäne zusammengetragen.

In der Vaterstadt des Lukas Cranach gilt von der
alten uneingenommenen Festung herab ein Adieu dem
weinseligen Frankenlande. Das Bilderbuch zeigt alles
in schönster Ordnung vom Rittertum herauf, den alten
Bürgerstädten, den fürstlichen und kirchlichen Glanz
der barocken Ieit bis zur kühlen Vornehmheit des

Klassizismus. Wir sind im Goetheschen Lande. Jm
Automobilkostüm durch das Goethe-Museum in Weimar
zu streichen, das mag profan aussehen. Aber wir sind
nun einmal Kinder unserer Zeit. Wie haben doch die
Großen jener Ieit in äußerer Dürftigkeit gelebt. Goethes
Arbeitszimmer gleicht einer Diurniftenschreibstube, und
sein Sterbegemach ift eine trostlose Kammer. Oder ist
es nur die museale Verwahrlosung? Und das Lust-
schlößchen Tiefurt, auch ein kleines liebes Nest, aber
um wieviel armseliger, als das üppige Veitöhöchheim.
Und doch um wieviel reicher an SentimentS, einer alten
Kommode ähnlich vollgestopft mit rührenden Erinne-
rungen, Liebesbriefen, Romanzen und ähnlichen rühr-
seligen Geschichten. Ein ftiller Iauber ist an diesen
Dingen, trotz der äußeren Armseligkeit, der unverkennbaren
Armut, die mit falschen Parketten und den Jmitations-
künsten deö Dekorateurs die Pose dcö abwesendcn Reich-
tums zu affekticren sucht. DaS Vehikel fliegt über die
mcilenlange schnurgerade Straße, die Napoleon, der
erste moderne Organisator, gebaut hat. Fliegt über
daö Allerlcirauh der thüringischen Landschaft, 'die alle
fünf Minnten lang wechseln kann, alle Stimmungcn
hat: hier trostlosc Wüfte, Jndustrieviertel, dort lieb-
liche Landschaftcn mit fliegenden Wolkenschatten, einem
Gemälde von Kaspar Friedrich gleich, dann ein blühender
Garten, dann Berg- und Waldeinsamkeit, und Sagen-
stimmung mit dem Hörselberg und schließlich die
restaurierte Neuromantik von Eisenach mit der Luther-
stube, den schwächlich illustrierten zum Teile erneuerten
GeschichtSillustrationen alö Frcökcn, schwächli'ch auch
wenn sie von Schwind stammen. Fremdenindustrie
wie in Heidelberg. Jn Saaleck, dem Daheim unsereS
Automobilwirtes, klappt das Bilderbuch zu und wir
sagen einander Adieu. Fünf Tage Automobilschwärmerei
sind gerade genug. Jos. Aug. Lux.

Theater des Dioiwsos.*

H Von Gerhart Hauptmann.

Eine Stadt, wie das moderne Athen, das sich mit
viel Geräusch zwischen Akropolis und^ Lykabethos ein-
schiebt, muß erst in einem gewissen Sinn überwunden
werden, bevor der Geist sich der ersehnten Vergangen-
heit ungestört hingeben kann. Ium drittenmal bin ich
nun im Theater des Dionysos, dessen sonniger Reiz
mi'ch immer aufö neue anlockt. Eö hält schwer, sich
an dieser Stelle in die furchtbare Welt der Tragödie
zu versetzen, hier, wo sie ihre höchfte Vollendung gc-
funden hat. Das, was ihr vor allem zu eignen scheint,
das Nachtgeborene, ist von den Sitzen, aus der Orchcstra
und von der Bühne durch das offene Licht der Sonne
verdrängt. Weißer und blendender Dunft bedeckt den
Himmel, der Wind weht schwül, und der Lärm einer
großen Stadt mit Dampfpfeifen, Wagengeraffel, Hand-
werksgeräuschen und dem Geschrei der Ausrufer über-
schwemmt und erftickt, von allen Seiten herandringend,
jedweden Versuch zur Feierlichkeit.

'' Aus! „Gricchischer Frühling" von Gerhart Hauptmann.
Verlag S. Fischer, Berlin.
 
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