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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 5
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Braun, Felix: Die Leibwache der Gräfin Jorinde
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Dresdner, Albert: Alfred Messel und sein Werk
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0193

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Alfred Messel und seiu Werk.

Lippm, ganz wie in Liebe, lange Zeit, blt' zum Nahen
der jungen Sonne . . .

Die sechs aber standen schweigcnd, in Einsamkeit,
traumhaft, wie ohne Sinne. Jhre Augen ruhten auf
dcm Bild der Liebe, daö ihncn ini Schmerz erschien,
ganz nmrahmt von Schmerz. Da saben sie mit einem
Mal den Knaben sich erheben und erstaunten, wie seine
Stimme zu ihnen kam: ganz vcrdunkelt, schwebcnd,
groß und feierlich.

Der Knabe sprach: „Jch werde nun gehen, aber
ihr inüßt die Wache an dem Leichnam halten, bis ich
wiederkehre. Laßt die Waffen in ihrem Herzen und
verharrt schweigend, wo ihr seid, im Schatten eurer
Tat." Und er winkte ihnen, die regloö standen, zu
und schritt hinauS.

Und ging in den großen Saal, wo noch das Feuer
>m Kamin lohte. Mit mächtigen silbernen Schaufeln
holte er Glut um Glut auS dem Gesüngniö, daö sie
zwang, und kleidete sie in die Seide der Vorhänge,
daß sie vor Freude hoch auflohte; und er legte sie auf
daö edle Holz der Möbel und auf den getäselten Esirich
und sah an der Türe, wie sie wachsend sich vermehrte,
neu erzeugte, hoch ward und mit vielen Armen um
sich griff, alleö erfüllend mit ihrcm unnahbaren und
frevelhaften Sein. - -

An den beiden greisen Torwachen vorbei schritt der
Knabe ins Tal. Als er das erste Haus des Dorses
erreicht hatte, wandte er sich und, den Blick zum Hügel
erhebend, sah er daö Schloß in den Linien seines FeuerS
zum Himmel hinausgreisen, der ihm, wolkenlos, sein
lichtes Antlitz entgegenhielt. Und er wußte bei sich,
daß nun der Traum ersüllt war, den Jorinde niemalö
gcträumt hatte. Geschärften Augs, dem vicle Tiefen
der Erde offe» lagen, niit sicherem Schritt, besonnen
und im Gefühl einer ftärkeren Seele: im Anbruch der
Männlichkeit kehrte er zu den Seinen heim.

lfred Meffel und sein Werk.

Oft, wenn man sich mit der Geschichte der
ncueren deutschen Kunst beschästigt, wird man
von dem Gedanken beschlichen: wir haben kein Glück.
Ein so echtes, so originelleS Genie, wie Runge, wird
unö entrissen, kaum daß er begonnen hat. Rethel er-
liegt mitten in seinem Schaffen dem Wahnsinne. Viktor
Müller stirbt vor der Zeit; Feuerbach und Marseö
bleiben einsam und ohne die Aufträge, nach denen ihre
Begabung lechzte. Und nun wird Alsred Messel in
seinen besten Jahren vom Tode ereilt und damit unsere
Kunst vielleicht von dem schwersten Schlage betroffen,
der ihr im Augenblicke widerfahren kann. Jn diesem
unseligen modernen Kunsttreiben, wo alles Partei,
Clique, Dogma ist, wo keiner den andern zu verstehen
scheint oder verftehen will, wo das Widernatürliche als
Regel und das Unsinnige alö Vernunst proklamiert
werden kann: in diesem Narrentrciben gab es doch
einen festen Punkt, eincn Bezirk, wo troiiKg, äsi,
Einigkeit, Verständnis herrschte, — das war die allge-
mcinc Überzeugung, daß Meffel unsere bedeutcndste,
selbständigste, sruchtbarste moderne architektonische Kraft

sei. Viclleicht war cö die wuchtige Realität, die macht-
volle mechanische und räumliche Gesetzmäßigkeit der
Baukunst, die hier alle äfthctischen Windbeuteleicn im
Keime erstickte; die Architektur als Erzieherin war eö
vielleicht, die vor MesselS Werke alle zusammenzwang —
und eben dicse erziehliche Krast der Architektur ift ein
Element, deffen ungehemmte und nachhaltige Wirksamkeit
im gegenwärtigen Zeitpunkte für unsere Kunst unent-
behrlich und von dringendster Bedeutung ist. Jhr
Fortschritt hängt jetzt, wenn auch nicht allein, so doch
zum großen Teile von der alten mator artinin ab. Ehe
eS ihr nicht gelingt, dem Raume ein neues Gesetz zu
geben, ehe werden auch die andern Raumkünste das
ihrige nicht finden. Und da hatten wir nun einen
Mann, der unerschütterlich, ohne sich auszuhalten und
ohne sich drängen zu laffen, dabei war, dies Gesetz,
diese neuen Formen der Raumdeutung und Raum-
bildung, die in unserm ganzen Sein und Denken drin
stecken, wie die Statue im Marmorblocke, herauszu-
arbeiten; schon ift sein Werk ein gutes Stück vor-
geschritten — da wird er uns entrissen. Wir haben
kein Glück.

Unsere Architektur hat ja in der letzten Zeit eine
große Purgierkur durchgemacht, um sich von dem
geschichtlichen Stiliömus gründlich zu reinigen. Jeder
Baukünstlcr, der auf Reputation hält und als modern
angesehen sein will, baut heute zweckgemäß, ehrlich,
konstruktiv, puritanisch. Bürgerftil ist Trumps — in
einer Ieit, wo daS deutsche Bürgertum sich wirtschaft-
lich, politisch, sozial, geistig zu einem völlig neuen
Gebilde entwickelt, daö mit jenem biedermeierlichen
Bürgertume nichl viel mehr alS den Namcn gemein
hat. Unter diesen soi-äiskuit modernen Bürgerbauten
gibt eö manche, die ma» als Bauwerke wie als Ge-
schmackswerke so ziemlich einwandfrei, sehlerlos nennen
kann. Fehlt nur Eines: der heilige Geist; sehlt nur
jene Macht, die den Raum so zu begrenzen weiß,
daß dies an sich unendliche Element zur Form und
zum Gefäße unseres endlichen Lebens wird, daß
vier Wände und ein Dach einen Raum zu bilden ver-
mögen, der unser religiöses Gefühl, unser Gemeinschafts-
gefühl als Volk, unser gesellschastlicheS Froh- und Fest-
gefühl auszudrücken und zu erhöhen, zu weihen vermag.
Es sehlt jene überzeugende Kraft, daß dieser Bau, wie
er ist, in Stärken und in Schwächen, unser ist, unserm
eigenen Leben entstammt und angehört, und daß wir
ihn, wie die Mutter ihr Kind, behaupten und aner-
kennen wollen, nein: müssen, sei er auch mit hundert
Schönheitsfehlern behaftet. Messel war der Einzige,
der etwas von dieser Kraft besaß — und somit der
einzige wahrhaft moderne Baukünstler.

Denn jener Wertheimbau, der im Ientrum seines
Schaffens steht und alö sein großeS Lebenswerk zu be-
zeichnen ist, der war mehr, als ein bloßes Warenhaus.
Ia, der ältere, erfte Teil — der sreilich war Warenhaus
und nur Warenhaus. Klar, geräumig, übersichtlich,
bequem; aber kalt, im Grunde gleichgültig; Räunie,
aber kein Raumbild; eine riesige Karawanserei, die es
deutlich und ehrlich auösprach, daß die, die hier zu-
sammenströmten, nichts miteinander zu schaffen hatten.
Ein Gehäuse, kein Haus; die große, die eigentliche

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