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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 4
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Dehmel, Richard: Kunst und Volk: neun Selbstverständlichkeiten, die aber doch der Erklärung bedürfen
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Die Madonna mit der Wickenblüte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0157

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Kunst u»d Volk.

aus bloß ungewöhnlich sein will. Nur solche Kunst wird
und blcibt volkStümlich, die den Willen zum geistigen
Miterleben, diesen allgemeinsten menschlichen Willen,
gleichermaßen bcwegt und beruhigt, löst und sesselt,
antreibt und bändigt. Sie muß Reize enthalten, die
immer wieder das schrankenlose Naturgefühl selbst deö
Eigensinnigsten erregen; und sie muß andere Reize
enthalten, die immerfort die beschränkte Kulturvernunst
auch des Freimütigsten beschwichtigen. Sie muß alle
diese zwiesachen Reize in ciner so einfachen Form
vereinen, daß sie zwingend wirkt wie cin neues Gesetz,
zu dem die alten hingedrängt habcn; und es macht daö
innerste Schicksal des Künstlers aus, ob er die äußere
Geschicklichkeit hat, sich mit seiner ursprünglichen Schaffens-
kraft in die Beschaffenheit der Welt, die notwendige
Ordnung der Kräfte, zu fügen. Dann ist sein Werk
ein vollkommenes: ein Sinnbild des zielloö schaffenden
Lebens, ein Abbild des fteieften Willens zum Dasein,
ein Vorbild der willigsten Schickung ins Ewige. Solche
Kunst mag ma» ansangS sür willkürlich haiten, mag
sie mißdeuten und mißachten, verlästern odcr verlobhudeln:
grade Das wird die Neugier der Menge reizen, grade
Das selbst die ältesten Schlafmützen wecken, und endlich
nimmt auch dcr Gleichgültige die ernste Gültigkeit ihres
Wesens hinter dem scheinbaren Gaukelwerk wahr. Da-
gegen die Kunft, die nach Volksgunst fahndet, indem
sie sich in das Maskengewand volkstümlich gewordener
Ahnenkunst kleidet: sie mag von den vornehmsten
Autoritäten, von Obrigkeit, Schule und Zeitungen, mit
aller Gewalt „populär" gemacht werden, eine Zeitlang
„ungeheuer beliebt" sein, schließlich wird sie als eitel
Blendwerk erkannt und dient bestenfalls zur Vermittelung
einiger Kunstkcnntnis ans Volk.

8. Alle Kunst, die nicht volkstümlich bleibt,
wird Unkunft, Tand und Spreu im Wind.

Das ist so zu verstehen:

Kein Kunstwerk, und sei es noch so schlecht, ist von
Ansang an ohne Lebenswert; eö finden sich immer die
vielen Dummen und manchmal auch nicht wenige Kluge,
die ein schlechteö Werk sür gut genug haltcn, die Lange-
weile auszusüllen. Erst allmählich merkt man, waö
Unkunst ist. Jeder Einzelne weiß das auö eigner
Erfahrung, und die Ersahrungen der Völker wachsen
noch viel allmählicher, dasür sreilich auch dauerhaster.
Es laffen sich manchcrlei Kunstwerke herzählen, die Jahr-
hunderte lang im Volk wie bei Kennern die höchste
Wertschätzung besaßen und heute für mittelmäßig gelten,
vielleicht immer tieser an Wert sinken werden, viellcicht
auch wieder zum höchsten fteigen. Eine vollkommene
Gewähr sür die Nichtigkeit eines Kunftwerkes bietet
allein der Tatbestand, daß es als Stoffding untergegangen
ist, ohne in irgend einer Form — in Sage, Denkmal,
anderen Werken — als seelisches Wesen weiterzuwirken.
Das mag sich von den besten Kennern für die ungeheure
Mehrzahl der Kunstdinge mit aller Gewißheit voraus-
sagen lassen; aber die Kenner vollstrecken ihr Urteil nicht.
Nur die Menschhcit selbst ist daö Jüngstc Gericht und
sondert langsam die Spreu vom Weizen; und das
Volkstum ist das große Sieb, durch daö sie ihre Lebenö-
frucht worfelt. Da wcrdcn auch viele Dinge durchsallen,
die vielen Kennern Kleinodien waren; und der ordinärste

Hintertreppenroman wird dann nicht tiefer im Kehricht
liegen als manche exquisite Salonnovelle. Dann wird
der namenlose Dichter, der dem Volk den Aberwitz
bloßer Romantik durch das Bild des „geschundenen
Raubritters" zeigte, in der menschlichen Sprache lebendiger
leben alö mancher romantische Schulpoet mit literar-
hiftorischem Ruhm. Über die Geifteögebilde der Macht-
vollsten aber lebt noch ihr eigenes Bildnis hinaus. Es
werden Zeitcn kommen, wo unsre Kultur bcgrabener
als die ägyptische daliegt; dann wird vielleicht kein Buch
von heute, kein Notenblatt mehr in Ansehen stehn, aber
das Seelenbild Dante, das Paradiese und Höllen umarmt,
der Geist Beethoven, den die Verzweiflung zum Freuden-
schrei trieb, wird dann der Menschheit noch ebenso heilig
sein wie Orpheus oder Prometheus.

9. Die Kunst geht ihren eigenen Weg; wohl
ihr, wenn das Volk ihr zu folgen vermag.

Das ist so selbstverftändlich —

daß eö selbst sür die eingcbildetsten Dickköpsc nicht
der Erklärung bedürsen würde, wenn nicht manche
Künstlcr von ZukunftSwert einen wohlseilen Asterstolz
darein setzten, bei Lebzeiten nicht ins Volk zu dringen.
Angewidert vom Asterruhm meinen sie, ihr Selbstgefühl
sei die ganze Welt, die Menschheit ein Märchen der
Volköverführer. Wie lange wird dieser Irrsinn dauern?
Bis sie der Welt zum Opser gefallen und dem Volk
wie der Menschheit ein Leichenschmaus sind! Denn wir
leben Alle nicht für uns selbst, mag eö auch manchem
Scheimveltweisen bei seiner Schreibtischlampe so schcinen;
selbst der selbftsüchtigste Gcizhals muß inö Grab und
hat seine Schätze für Erben gesammelt.

Richard Dehmel.

ie Madonna mit der Wickenblüte.

(Hier stehen einige Antworten von Künstlern
aus unsere Rundftage, ob man ein Bild von
einer Übermalung befreien dürfe, wenn sie sich zweisel-
los alö eine Iutat aus unserer Ieit erweise. Die Red.)

* *

*

Iu einer wiederholten Restauration der Bilder würde
ich nur dann raten, wenn sie mit Sicherheit Erfolg
verspricht. Wer kann aber hierfür einftehen? Es wäre
ja auch wichtig zu wissen, in welchem Iustande sie sich
vor der llbermalung durch Lorent besanden. Jedensalls
dürste wohl nicht eher eine Entscheidung getroffen
werden, bis eine Kommission hervorragender Sachver-
ständiger, zu der besonderö Maler hinzugezogen werden
müssen, sich darüber geäußert hat. Fxxd. Brütt.

Es sehlt mir die eigene Anschaunng, um ein richtigeö
Urteil zu haben. Man müßte das Bild für den ge-
gebenen Fall sehr genau gesehen haben. Jst es sehr
schlecht restauriert, dann kann es ja verbessert werden,
wenn man wirklich die schlechte Reftauration entsernen
kann, ohne zu großem Schaden für daö unterhalb
Befindliche. Aber das richtige vorzügliche alte Bild
wird cö wohl nicht mchr wcrden. Allerdingö sind
wir ja gewohnt, in den Galerien so viele Bilder zu
 
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