Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Dresdner, Albert: Hans von Marées
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0232

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ans von Marees.

Die glänzende und höchst bedeutungsvolle Aus-
stellung von Werken Hans von Marses', die
zuerst >n München und dann in Berlin stattfand,
hat eine große Marses - Begcisterung erweckt. Zwar
fehlt es nicht an bedenklichen Stimmen, an Eiuwänden
und Vorbehalten; allein der Ton der Begeisterung ist
doch vorherrschend, und man kann sagen: Marses
wird jetzt ebensosehr bewundert, wie er bei Lebzeiten
verkannt oder vielmehr ignoriert ward. Es ist bitter,
daß es so kommen mußte; indes besser, er wird spät,
als garnicht verstanden und geehrt. Das Allerbitterste
aber wäre, wenn die heutige Bewunderung auch wicder
nur eine hohle Seisenblase, eine Mode des Tages sein,
wenn sie nicht dahin sühren sollte, daß das, worum
Marses rang, was er erreichte, waö er verfehlte, klar-
gestcllt und dem Publikunr wie den Künstlern sest ein-
geprägt wird. Damit, wenn ein neuer Marses auf-
fteht, er nicht wieder einen so schweren LebenSgang zu
tun, nicht wieder so gewaltsam zu kämpfen habe — zu
kämpfen mit der Ieit, aber auch mit sich selbst. Jch
will versuchen, das, worum es sich für Marses handelte,
so klar eS mir möglich ist, darzustellen.

Als Marses nach Italien ging, war er mit sich
selbst noch ganz uneins, und nur so viel stand bereits
seft, daß er ein ungewöhnliches koloristisches Talent war.
Er ift in Wahrheit der größte Kolorist, den die deutsche
Kunst im 19. Jahrhundert überhaupt hervorgebracht hat.
So war eS ganz natürlich, daß ihn in Jtalien zunächst
die große Koloristenschule, daß ihn die Venezianer an-
zogcn; und unter ihnen war eö wieder Giorgione, der
ihn vor allem in seinen Bann zwang. Schon m seinen
letzten Münchener Arbeiten war Marses insosern Giorgione
aus halbem Wege entgegengekommen, als er in ihnen
darnach geftrebt hatte, hauptsächlich durch das Mittel
der Farbe allgemeine Daseinöpoesie darzustcllen. Jetzt
sah er sich nun durch Giorgiones Werke auf eine neue
Möglichkeit hingewiesen: nämlich die Schilderung poetisch
crhöhten Daseinö aus der Landschast auszubauen. Giorgione
war ein großer, ja er war der erste moderne Landschafter
gewesen, in dem Sinne, daß er zuerft es versucht und
vermocht hatte, sein Empfindungslcben an der Landschast
und durch die Landschaft auszudrücken und die Gestalten
seiner Bilder durch das Medium seines lebendigen Ge-
sühles auss innigste mit der Natur zu verschmelzen.
Der Kunst- und Kulturgeschichte bleibt die ErkenntniS
noch vorbehalten, daß er sich durch diese große Neuerung
überhaupt als einen der erften spezifisch modernen
Geister in Europa legitimiert hat. Auch Marses' großer
Zeitgenosse Böcklin war in eben diesem Sinne ein ganz
moderner Geift, daß er von der Natur selbst auöging,
der er dann durch das ihm eigentümliche Versahren der
Jntensierung so bedeutende Ergebnisse abgerungen hat.
Ein solcher Geist war Marses nicht. Er war kein Land-
schafter, er hat sür die Landschaft nie viel Jnteresse ge-
habt; ja sein ganzes Schaffen macht unwiderleglich klar,
daß er überhaupt kein reges oder tiefeö Naturgefühl
besaß. Was ihn zu Giorgione hinzog, das war ihm
damals wohl selbst noch nicht klar — meines Erachtens war
es cine gewisse großartige Primitivität des Vcnezianers —;

gewiß ist, daß er sich erst sand, als er mit der Antike
in Fühlung trat.

Die Antike hatte wohl eine Landschaftsmalerei, aber
die Landschaft als Stimmung, als subjektives Element
war ihr fremd. Sie kannte nur die Landschaft als
Raum; irgend ein sentimentales oder romantisches
Jnteresse an der Natur wird in der antiken Kunst nicht
erkennbar. Jhre Entwickelung vollzog sich vielmehr
durchaus an der menschlichen Gestalt, und zwar in der
Weise, daß sie sich ihrer Schritt vor Schritt von den
einfachsten Grundlagen aus bemächtigte, daß sie sich
zuerst die Formen und den Mechanismus des mensch-
lichen Körpers zu eigen machte und dann nach und nach,
und immer vollkommcner, die Menschengestalt zum Abdrucke
aller ihr zugänglichen Jdeen und Empfindungen aus-
bildete. Als MarseS, erst in Rom und dann in Cam-
panien, die Schöpsungen der Antike kennen lernte,
entschied sich sein Schicksal. Erst an diesem Erlebnisse
fand er sich und erfaßte er die Aufgabe seines Lebens.
Er schloß sich vollständig ab, begann von neuem und
trat in seinen großen Kampf ein.

Wir müssen diese Erscheinung schließlich wohl einsach
als gegeben annehmen, aber Eines wenigstens läßt sich
doch zu ihrer Erklärung anführen. Marses hatte in
München viel experimentiert und sich den verschiedenften
Einflüssen hingegeben; allein sein strenger und klarer
Verstand sagte ihm, daß er bei alledem auf unsicherem
Grunde stehe. Er hatte am eigenen Leibe das große
Unglück der modernen Kunft durchzuleben und durch-
zusühlen, daß ihr die organische, gesetzmäßig aus-
gebildete Grundlage der inneren Form sehlt. Je mehr
er in Jtalien versuchte, um so stärker mußte diese Emp-
findung in ihm werden, bis er in die völlig verzweiselte
Stimmung kam, daß er alles unter sich und um sich
schwanken sühlte, daß ihm alles Beginnen hofsnungslos
und vergeblich erschien, weil doch alles in sich zusammen-
fallcn müsse. Jn dieser Stimmung lernt er das Gegen-
bild der in sich völlig sicheren, unerschütterlich sest
aufgebauten antiken Kunst kennen, und er faßt den
heroischen Entschluß, sür seine Kunst und die gesamte
deutsche Kunst eine neue Grundlage zu schaffen, indem
er den Weg geht, den, wie die Geschichte lehrt, die
Antike gegangen ift. Wenn in Marses' Schaffen ein
antiker Geist, ein antikes Element deutlich zu fühlen ist,
so liegt das nicht nur darin, daß seine Gestalten sich
antik geben, noch in dem Einslusse, den er von der
antiken Kunst erfahren hat. Wichtiger ift schon, daß
er mit der Antike einen gewissen Sinn für gelassene
Größe tcilt. Aber das entscheidende, das innerlich
antike Moment in seiner Kunst scheint mir dies zu
sein, daß sein Verfahren, seine Methode, seine künft-
lerische Grundidee eine echt antike ist. Er versucht die
moderne Kunst so zu entwickeln, wie sich die der Alten
entwickelt hat.

So beginnt er denn da, wo die griechische Kunft,
sagen wir: um 600 vor Chrifti herum, begonnen hat,
und vcrsucht sich der menschlichen Geftalt grundmäßig
zu versichern. Er geht auf die allereinfachsten Motive
ihrer Erscheinung und Bewegung zurück: auf das
Stehen, das ruhige Schreiten, das Liegen, das Bücken.
Er vermeidct mit strenger Konsequenz alle komplizier-

210
 
Annotationen