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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 5
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Hamann, Richard: Gewand und Plastik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0182

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Gewand und Plastik.'

>ii der Nacktplastik kann sich anch in der
Gewandplaftik die plastische Gestaltung mehr
nach Deite äußerer Form oder nach Seite
innerer Haltung »nd Bewegung vollziehen.
Die drei >Ltile, archaisch, klassisch, barock sind deutlich in
der Behandlung deö Gewandeö erkennbar und gehen
mit der entsprechendcn historischen Entwicklung in der
Architektur und Skulptur überhaupt parallel.

Die archaische Plastik bevorzugt die Gewandfigur,
weil das Gewand die Möglichkeit bietet, alle Glieder
und einzelnen Formen einzuwickeln
und eincn einheitlichen Körpcr auö
ihnen zu machen. Jn der ägyp-
tischen Kunst sind bei den Frei-
statucn sast durchweg die Lücken
zwischcn den Gliedern mit Hilfe deö
feft herumgezogenen Stoffeö über-
spannt. Archaische griechische Sta-
tuen werden nnt Hilfe deö Ge-
wandeö zum Pfeiler oder zur Säule,
ebenso die älteften mittelaltcrlichen
Rundplastiken in Chartres. Die ar-
chaische Kunst verzichtet abcr auch
auf alle Gliederung der Gewand-
oberfläche durch plastisch herauö-
tretende Falten oder durch Dar-
stellung des frei fallenden, beweg-
lichen StoffeS. Die Falten werdcn
im ältestcn Stil nur eingeritzt, wie
eine Zeichnung, die die Fläche gar-
nicht alteriert. Oder sie werden in
ganz flachcn Schichten abgctragen,
die den ftcinmäßigen Charakter der
Skulpturen betonen. Erkennt man
an den Säumen die Lage der Falten
genauer, so ergebcn diese einen Ein-
druck wie sorgfältig zusammen-
gclegte Wäsche, und der Name „ge-
plätteteö" Gewand trifft sehr gut
zu. Die Plättung sorgt für mög-
lichste Flachheit der Falten, dainit
sie sich nicht vom Körperstamm
ablösen. Eine solche Behandlung
entspricht dcm archaischen Flachrclicf.

Die Ordnung, die den Stoff durch- Cngel der Faffade der
waltet, ist ganz von außen heran-
getragen. Die Abneigung gegen die inncre Lebendigkeit
der Falten führt zu ornamental geometrischer Be-
handlung der Faltenzüge. Besonderö charaktcristisch ist
eö für die Bevorzugung der äußeren Form, daß die
den Beinen aufliegenden Falten nicht herabhängen,
sondern die runde Forni des Knies zunächst rund um-
schreiben und nach oben u»d untcn in parallelen Bögen
umkreisen. Jn Linien und Formen wird alleö ge-
bunden, sest, »nplastisicrbar von innen und unbe-
weglich. Eö ist ganz und gar Organisation von außen,
der Wille dieser derartig bekleideten Figur hat nichts
damit zu tun.

* Siehe den Aufsatz in Heft Z.

Die Entwicklung geht nun — am besten in der
mittelalterlichen Skulptur zu verfolgen — auf immer
stärkere Befrciung des Gewandes und auödrucksvollere
Gliedcrung. Auf dem Wege zur innerlich organisicrten,
krafterfüllten Falte trcffen wir einen archaisch-klassischen
Übergangsstil in einer Gruppe von Statuen, aus der
wir die Synagoge vom Straßburger Münster als Bei-
spiel herausnehmen. Die Glieder werden frei, aber sind
in ihren Bewegungcn noch steif, gebunden und bcfangen.
Der Stoff schiebt sich als plastisierbare Masse zusammen,
und deutlich lösen sich die Streck-
falten ab. Die Falten selber aber
sind scharfkantig, zum Teil fest ein-
gespannt zwischen den Punkten,
zwischen denen sie verlaufen, und
das Gewand zwischen diesen Graten
ist ebenfalls straff angezogen, mul-
denartig von außen nach innen ver-
tieft. So sühlen sich diese Falten
scharf und kantig an wie Knochen-
ränder, und die Vertiesungen zwischen
ihnen erscheinen ausgekehlt, oder
hereingedrückt, jedenfalls noch von
außen organisiert. Jn diesen harten,
festen Formen, zwischen denen die
Masse fest eingespannt ist, offenbart
sich ein Reft archaischer Formen-
behandlung. Die Statucn ent-
sprechen dem Stil der Nacktplastik,
wie in der Antike durch den Apoll
von Tenea repräsentiert ist. Ähn-
lich wie dort drückt sich das Funk-
tionieren der Glieder vorwiegend
in cinem steifen Stehcn auö, in
übertriebener Schlankheit der Fi-
guren und in dem llberwiegen der
Schwererichtung der Falten. Die
Magerkeit und Hölzernhcit der Glie-
dcr, die Eckigkeit und Gebrochenheit
der Bewegungen, die Vermeidung
weicher schwammiger Formen wie
der Brüfte, die zuweilen wie spitze
Dornen gebildet sind, die einge-
schnürte Taille und das schars mar-
Kathcdrale zu Reims. xierte Knie, alles das sind Merk-
male dieseö Stileö von Figuren aus
Haut und Knochen. Es fehlt noch die Muskulatur.

Iu immer freierer Ablösung vom Körper, stärkerer
Rundung und systematischerem Fall geht die Entwicklung
der faltigen Gewandung. Die Naumburger Stister-
figuren enthalten den Höhepunkt dieser Entwicklung, und
Frauenstatuen wie die llta und die Gepa repräsentieren
die unbedingte klassische Schönheit des plaftischen Ge-
wandes. Jhre nächsten und unmittelbaren Vorgänger
haben wir in den Reimser Figuren zu suchen. Alles,
waö an der Gewandung Form ist, ist durch den Willen
der Figur, ihre Haltungen und Bcwegungen geworden.
Der König in cinem Strebepseiler der Kathedrale zu
Reims ift mit seinem Mantel beschäftigt. Mit derselben
 
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