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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 5
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Treu, Reinhold: Ferdinand von Saar und die Gesamtausgabe seiner Werke
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0196

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erdinand von Saar und die

Gesamtausgabe seiner Werke.

Wie mancher anderc hat sich auch Saar, der „Wiener
Poet", über den Lebensgrund seiner Beanlagung gctäuscht.
Er hat mit Dramen begonnen, viele seiner besten Jahre
im nutzlosen Ringen um einen Theatererfolg verloren
und bis zum Schluß seines Lebens an Enttäuschungen
als Dramatiker gelitten; während ihm seine Meister-
schaft als Erzähler fast wider Willen anflog und von
„Jnnocens" (1865) bis zu den „Pfründtnern" (1905)
durch die lange Reihe seiner „Novellen aus Osterrcich"
treu blieb. Sie allein — auch nicht die Gedichte —
werden seinen Namen weiter tragen. So ist eö schön,
daß sie in der ncuen Gesamtausgabe seiner Werke
(Max Hesies Verlag, Leipzig) sechs von den zwölf
Bänden einnchmen und nicht, wie das Testament des
Dichters wollte, in vier Bänden zusammengedrängt sind.
Schöncr wäre cö, wcnn wir dic 52 „Novellen aus
Osterreich" in einer einheitlichen Ausgabe auch noch
besonders erhielten, da sie als Einzelausgaben immer
noch in der zusälligen Erscheinungsform: Novellen aus
Osterreich (2 Bände), Herbstreigen, Camera obscura
und Tragik dcö Lebens, vorliegen, und nur in dieser
Gesamtausgabe richtigerweise zusammengezogen sind.

Freilich nicht un Sinn des Dichters, der seinen
dramatischen Lieblingskindern zuliebe mit seinem ur-
sprünglichen Verleger Georg Weiß sich über eine Ge-
samtausgabe nicht einigen konnte und seinen sonstigen
Leidenögeschichten auch noch eine buchhändlerische hinzu-
sügte. Jm Vorwort zum II- Band erzählt vr. I.
Minor alissührlich, wie es dem Dichter mit einer Ge-
samtauSgabe zeitlebens nicht mehr glückte, und es ist sür
junge Autoren lehrreich genug zu lesen. Als sein erstes
Buch erschien im Jahre 1865 die I. Abteilung seines deut-
schen TrauerspielS Kaiser Heinrich VI., nachdem es die
großen deutschen Verleger abgelehnt hatten, bei dem Sorti-
menter Georg Weiß zu Heidelberg. Der Dichter zahlte
„zu den Druckkostcn" lOO Gulden, verpflichtete sich „bei
Bekannten" 50 Exemplare abzusetzen und erhielt I Frei-
exemplar. Auch bei den späteren Dramenbüchern hat
Saar zu den Druckkosten beigetragen, während die
Novellen aus Kosten deö Verlegerö erschieneu. Alö
dann ganz allmählich der Name des Dichters bekannter
wurde und er zum sechzigsten Geburtstag an eine Ge-
samtauögabe denken konnte, wolltc sich Georg Weiß
nicht entschlicßen, die Dramen mit auszunehmen, und
als der Verlag Cotta sich zu günstigen Bedingungen
sür eine auch die Dramen umfassende Ausgabe erbot,
sorderte Weiß eine so hohe Entschädigungssumme, daß
aus der Sache nichts werden konnte. Auch spätere
Verhandlungen mit S. Fischer in Berlin scheiterten an
der Abfindungssumme, was um so bitterer sür Saar
wurde, als der Verleger Georg Weiß unterdessen ge-
storben und seine Bücher an einen ihm sremden Buch-
händler Leichter in Ohlau verkauft waren. So kam
Saar selber, trotzdem er sast 75 Jahre alt wurde, nicht
zu einer würdigen Auögabe seiner Werke, und auch
nach seinem Tode hätte sie schwerlich erscheinen können,
wenn der Verlag Max Hesse nicht (durch den Wiener

Iweigverein der deutschen Schitlerstiftung als Erben des
Dichters unterstützt) den Mut zur Massenauflage cincr
„Wohlfeilen Gesamtausgabe" gehabt hätte.

Diese liegt mir nun vor in der bekannten Aus-
machung der Klassikerausgaben dieses Verlags in vicr
Leinenbänden mit Jugendstilschnörkeln, die zu der alt-
modischen Art des Dichters in grimmigem Gegensatz
stehen. Iedoch in einer anscheinend mit außerordent-
licher Sorgfalt von Prosessor Oe I. Minor gemachtcn
Ausgabe mit einer Biographie von Anton Bettelheün,
die den ganzen ersten Band mit 188 Seiten und An-
merkungen füllt und das erreichbare Material festlegt.
Es ist kein schönes Leben, von dem wir da lesen; von
den Schuldarresten der Leutnantszeit bis in die Stipen-
diaten-Eristcnz der späteren Jahre ziehen sich die Ver-
drießlichkeiten hin, und selbst die Ehrungcn des Alters
sind noch mit soviel Mißerfolgen gemischt, daß kein freics
Lebensgefühl aufkommen kann: auch im äußeren Schick-
sat ein Lsterrcicher wic in seinen Novellen.

Es sind ihrer 52, meist bescheidenen Umfangs, nicht
alle gleichwertig aber alle wertvoll. So sieht man eS
gern, daß jede einzelne bevorwortet und mit Nachweisen
ihrer Entstehung und Veröffentlichung versehen ist.
Denn so schlicht und plaudernd diese Dinge hingeschrie-
ben sind, wir werden unö angcwöhnen müssen, ihncn
einen guten Platz in der deutschen Erzählungskunst an-
zuweisen. Iwischen >865 und 1905, in diesen vierzig
Jahren, ist manches berühmt gewesen, was wir heute
unerträglich finden; und so altfränkisch es sich ausnimmt,
wenn immer wieder — entweder der Dichter selber odcr
ein angeblicher Bekannter — auS seinen Erinnerungen
einen sonderbaren Fall auskramt: der Fall bei Saar
ist jedesmal interessant, und der ihn erzählt, hat nicht
nur die äußere Aufregung davon mit angesehen. „Jch bin
nun einmal nicht imstande zu analysieren. Jch male
mehr oder minder gelungene Porträts, und der Leser
muß sich aus den Farben und Konturen die Geschichte
der Personen selbst machen." Gerade, was er sich in dieser
Selbstkritik absprach, besaß Saar ganz außerordentlich,
nämlich die Fähigkeit, einen schwierigen Charakter bloß-
zulegen- Er folgte dem Vorbild, das Grillparzer in
seinem „Armen Spielmann" gegeben hat; aber er bc-
folgte es so gut und es entsprach so sehr seiner eigenen
Anlage, daß er ihn z. B. im „Seligmann Hirsch", ini
„Leutnant Burda" mit Charakterbildern von gleicher
Vollkommenheit erreichte.

Wer ihn noch nicht kennt, und leider trifft das die
meisten bei uns in Deutschland, mag an einen öster-
rcichischen Storm denken, mit dem er die Vorliebe für
„sonderbare Schauplätze in altmodischen Vorstadthäusern"
gemeinsam hat, obwohl er nur in den ersten Sachen
z- B. Jnnocens das Schicksal poetisch umkleidet. Jn
seinen späteren Sachen wird er mehr — wie hier schon
einmal gesagt wurde — eine Art Fontane, der von
schwierigen und ernsten Dingen zu plaudern versteht,
ohne die Kühle und Jronie deö Norddeutschen, „mit
einem Einschlag von Straußschen Walzern und senti-
mentaleren Dingen". Mit Gefühlen arbeitet er trotz-
dem nicht gern, und die Leser vom „Tränenhaus" der
Gabriele Reuter etwa oder vom „Aömus Semper"
Otto Ernstens werden bei ihm nicht auf die Kosten
 
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