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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 4
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Gulenberg, Herbert: Vier Sonette
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Kassner, Rudolf: Der Helfer
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0153

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^V>ier Sonetle.

Von Herbert Eulenberg.

Erinnerung.

Jüngst ging Lch über Tag die gleichen Gänge,
dic wir des Nachts so oft znsammen gingen
bei schwarzem Laub und Nachtigallensingen.

Es schien ganz anders mir in klarer Enge.

Auf allen Wegen trieb sich ein Gcdränge.

Wo wir wie Bälle unsre Küsse fingen,
da spielten Kindcr nun mit L>and und Ringcn.
Fern aus den Häusern drangen Leierklänge.

O traure nicht, cinsames Herz, wie bald

ist alles stumm, was jetzt dich treibt zu schlagen,

wenn nichts mehr lebt aus deinen jungen Tagen;

die Liebe wie der Kinder Spiel verhallt.

Der Winter kommt, weiß wirst du wie der Wald
und wirst nie mehr in neue Blüten schlagen.

Auf die sinnlichste Musik.

(Die Kreutzersonate.)

Jch spüre noch den Dust des schwarzen Haares,
ich höre noch den Klang der Violine
und seh dich noch, gebannt wie Melusine
blind horchen wie aus etwas Wunderbares.

Und immcrzu wie ein Geschwätz des Staares
pfiff die Musik, wie Wind harft im Kamine,
mir war, ich säh Blut, das der Mond beschiene,
ich sror bis in die Wurzeln meines Haares.

Was ist es, das die Grenzen uns verwischt
und uns hinauöstößt in die Nacht des Alls,
mit Mecr und Luft und Feuer unö vcrmischt?

Echo vom Puls der Welt, Schall eineö Schallö,
du rcißt uns mit krast unsers Widcrhalls,
und unser Blut spritzt uns ans Ohr wie Gischt.

Vor dem Winter.

Schon lassen Knaben bunte Drachen steigen,
die Stoppelselder zeigen ihre Iähne,
ins Laubhaar schleicht sich eine braune Strähne,
die Herbstzeitlose schließt den Blumenreigen.

Und traurig hört man schon die Vögel schweigen,
die Wälder schütteln sröstelnd ihre Mähne,
stumm kommt der Herbst, gescheckt wie die Hyäne.
Nun klammre dich an alles, was dein eigen!

Die Wünsche, die ums Dach dir schreiend slogen,
sind mit den Schwalben heimlich fortgezogen,
die Sommerblumen mauserten und starben.

Bald sieht man aus dem Schnee Schwarzvögel darben.
Rück nah dich an die Lampe und ans Feuer
und mache dir, was dein ist, lieb und teuer.

Auf eine alte Partitur.

AuS dumpsem Schranke hol ich dich hervor
und leg dich sür die Freunde aufS Klavier,
ein stummes Heft, gelb ward schon das Papier,
darauf sich treibt der Noten schwarzer Chor,

wie wilde Vögel zwischen hohem Rohr,

Lettern aus China gleich in wirrer Iier,

Striche und Schnörkel, sonderbar Getier,
dem Auge unverständlich, stumm dem Ohr.

So liegt dies jahrlang in dem Schrank verschlossen
wie Samen in den Säcken, wie im Schlaf,
und bist einst durch des Künstlers Blut geflossen

und jetzt so leblos wie ein Epitaph. —

Da spielt man dich, und herrlich lebst du wieder.
So wacht auch ihr, liest man euch, aus, ihr Lieder.

er Helfer.*

Von Rudolf Kassner.

Er: Gutcn Morgen! Was, glauben Sie, ist das
Allerverrückteste, daö einem Menschen einsallen könnte?

Ich: Mir fällt eigentlich jeden Tag etwas Ver-
rücktes ein.

Er: Das will ich Jhnen gerne glauben. Da ist
es dann leicht zu leben. Und Sie werden sicherlich
lange leben, sehr lange, hundert Jahre! Jmmer im
letzten Augenblicke wird Jhnen noch etwas Verrückteö
einsallen. Bravo! Bravo! Doch cdarnach srage ich
Sie garnicht. Jch srage Sie ganz genau nach dem

Aller-Allerverrücktesten. Ja, darnach! So wie Kinder
nach dem Aller-Allerbestcn, nach dem Aller-Allerschönsten
sragen. Jch meine etwaö so Verrücktes, daß einem
darnach eben nichts mehr einfallen kann.

Jch: Es scheint, daß Sie es wissen.

Er: Ja. Jch wciß es und passen Sie auf! Ein
Mensch, ein guter Mensch hat sein ganzes Leben hin-
durch anderen geholfen, er hat tatsächlich nur dasür
gelebt, alle Menschen, denen er nahe gekommen, glück-
lich zu machen. Und er hatte darum auch immer gesucht,
vielen Menschen nahe zu kommen, um eben so viele
wie möglich glücklich zu machen. Und diese vielen

Menschen waren gar nicht undankbar, was ja oft, wie
man sagt, die Folge empfangener Wohltaten ift, o nein,
sie waren dankbar und zufrieden und nannten ihn
öffentlich und auch im geheimen ihren Wohltäter, und
alle, alle sind untereinander darüber einig, daß er ein
gutcr Mensch sei, daß cin Mensch so leben müßte,
wenn er ein guter Mensch sein wollte, daß man durch-
aus nicht mehr von einem Menschen verlangen dürfte,

der sozusagen allen anderen ein Vorbild sein wollte,

daß er allein ebenso gut sei wie alle anderen zusammen,

ganz genau so gut wie alle zusanunen. Ver-

stehen Sie mich?

Jch: Ja.

Er: So etwas ist doch möglich? Jch meine: ein
so guter Mensch, über dessen Güte alle, alle unter-
einander einig sind? Eö gab keinen Iweisler unter

* Siehe die Besprechung S. 141.
 
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