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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 4
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Lissauer, Ernst: Über die Lyrik Adolf Freys
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0151

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1 Ober die Lyrik Adolf Freys.

Die „Gedichte" Adolf Freys erschiencn im Jahre
1886, 1895 folgte eine Sammlung „Totcntanz";
im Jahre I9O8 wurden die „Gedichte" mit der „Toten-
tanz"-Gruppe vereinigt und, um andere Stücke ver-
mehrt, zum zweiten Male ausgegeben, sodaß in diesem
umfänglichen Bande* von mehr als dreihundertfünfzig
Seiten das lyrische Werk Adolf Freyö im wesentlichen
beschlossen ist. Eö verlohnt sich, diese Sammlung auf
Art, Herkunst und Gewicht zu prüsen und zu würdigen;
und es ift eine Pslicht, aus diesen Dichter hinzuweisen,
da er im allgemeinen in Deutschland wenig bekannt ist.
Iwar hat vor Jahren Hermann Grimm über den
„Totentanz" geschrieben, und in Avenarius' „Hausbuch"
fteht eins der besten Gedichte FreyS, aber, zum Beispiel,
die Benzmannsche Anthologie moderner Lyrik weiß von
diesem Dichter nichts, was um so erstaunlicher ist, als
sie in ihrer zweiten Auslage gerade ältere Dichter be-
sonders zu bevorzugen wünscht.

Frey hat Conrad Ferdinand Meyer und Gottsried
Keller in persönlichem Verkehr durch lange Jahre nahe
geftanden, und die Einwirkung dieser Beiden, besonders
Meyers, erweist sich deutlich in seiner Produktion.

Motive Meycrö klingen abgewandelt wieder: Mcycr
läßt über dem Grabe eines Jünglings sein „ungelebtes
Leben" geiftern, ein Iecher stürmt vorbei, ein Schiffer
fährt dahin, ein Rhetor stürzt sich auf die Bühne; bei
Frey ziehen, wenn Reigen und Ländler klingt und
stampst, die Frühgcstorbenen, sehnsüchtig ausschauend
nach den ungelebten Freudcn, als „Nachtfahrer" über
Land. Und es ist eine Umkehrung jeneö Meyerschen
Motivs, wenn Frey in einem andern Gedicht seine
gelebten Stunden als eine bleiche Schar vorüberreiten
läßt: Verwundete, Weinende, Lächelnde, Bekränzte. Jn
einem Gedicht stellt Meyer Milton dar, wie er am
Fenster ftehend, der nachschreibenden Tochter Strophen
seines Epos sprechend, von trunkenen Edelleuten srech an-
gespottet und verhöhnt wird und nun den Frevel mit
eisernen Worten für ewige Ieiten in sein Werk stnkerkert;
wie hier ein Geschehnis seinen Widerschein im Gedicht
empfängt, so — wieder in Umkehrung deö Motivs — bei
Frey eine Dichtung ihr Gegenbild im Leben: Heinrich
der Löwe liegt krank, und der Kämmerer, der ihm die
schlaflose Nacht nüt Avcntiuren kürzen soll, singt ihm
seine eigencn Taten: italische, slawische Schlachten,
den Kampf mit Barbarossa, dann ertönt der Tod des
Kaisers in dem Gesang, und in diesem Augenblick stirbt
Heinrich.

Auch ftilistisch ift viclsach die Einwirkung Meyerö
wahrzunehmen. Die gercimten Verspaare die für
MeyerS Art charakteristisch sind, werden häufig von
Frey angewandt:

„itberm Deck der ersten Frühe zarte Gluten,

schleift ein Dampfer qualmend durch die blauen Fluten,"

oder:

„Schüttern dröhnt und füllt die Luft,
und es rollt im Nebelduft."

Meyer reiht gern Anrufe oder Fragen in langer Folge:

* Lcipzig, H. Häffel IS08.

„Und du selber? Bist du echt beffügelt?

Oder nur gemalt und abgespiegelt?

Gaukelst du im Kreis mit Fabeldingen?

Oder hast du Blut in deinen Schwingen?"

Eine Meyersche Strophe solchcr Art findet ihr Nachbild
in einer Freyschen Strophe wie dieser:

„Sagt mir: folgcn ungezählte Fahrtgcnoffen?

Sehn sie trübe? Blicken ihre Stirnen heiter?

Wißt ihr: wann ist euer Heereszug geschloffen?

Seid ihr dunkler Hinterhut gedrängte Reiter?"

über solche motivischen und sprachlichen Zusammen-
hänge hinaus ift Freys Art, zu bilden und zu schauen,
in wesentlichen Iügen von Meyer bestimmt worden.
Jm Umgang mit Meyer und an seinem Beispiel lernte
Frey die wortkünftlerische Sorgsalt, durch die seine Ge-
dichte auögezeichnet sind; er lernte alles Tagebuch-
haste, in einem engen Sinn Subjektive, lediglich als
Vorstuse betrachten und das abgelöfte Gebilde erstreben.
Vielleicht ist die eigentliche Anlage Freyö nicht über-
ragend gewesen; doch eben jene strenge Iucht und
Schule hat es ihm ermöglicht, sein Talent bis zu der
heutigen nicht geringen Höhe zu fteigern. Und es be-
ruht aus dem Einsluß Meyers und Kellers, wenn in
Freyö Gedichten jegliche Empfindung in Geftalt und
Bild verwandelt ist und sie mit dichterischen Vorstellungen
reich angesüllt sind. Die Gcdichte Freys sind zum weit-
aus größten Teil visionärer Art — „Gesichte" heißt
eine Gruppe —, und eben daö visionäre Licht, das über
ihnen wie ein klarer Dämmcr ruht, scheint ein Nach-
leuchten der seherischen Urkraft Conrad Ferdinand Meyers.

Der Punkt, in dem sich Frey von Meyer am stärkften
unterscheidet, ist, daß seine Art weit mehr genrehast
ist, im Gegensatz zu dem monumentalen Charakter der
Meycrschen Poesie. Soweit aber auch bei Meyer
Dichtungen solcher leichtercn Art vorhanden sind — „Flut
und Ebbe", „Weinsegen", „Fingerhütchen", „Die Dryas",
„Liederseelen" — leitet von ihnen zu den Dichtungen
Freys eine deutliche Linie-

In FreyS Gedichten, wie in dcnen Meyers, schwebcn
und wandeln Sagenwesen von vielerlei Art, aber bei
Meyer sind es meift Göttinnen, Musen, Parzen, bei
Frey vornehmlich Gespenstcr, Tanzgeister, Elfen. Und
so ergibt sich merkwürdigerweise hie und da Line Ver-
wandtschast FreyS mit einem Dichter, der seiner Art nach
Meyer durchauS entgegengesetzt ist: mit Auguft Kopisch.
Kopischö Gedichte wimmeln von Zwergen und Hexen,
die den Menschen 'allerlei Poffen spiclen, und wie dort
der Bote von Schwerin, so wird hier „der Psarrherr"
von einem seltsamen Tanzgesinde übersallen, umreigt und,
freilich aus eine weit harmlosere und minder drastische
Art, zum Narren gehalten. Überhaupt ist Kopisch stets
drastischer, skrupelloser; die geniale Frechheit mancher seiner
Spukschwänke besitzt Frey nicht. So sind auch die
Bewegungen und Gebärden, die Rhythmen der Geister
bei Kopisch hurtiger, rescher, bei Frey gelaffener, sanfter.
Bei Kopisch toft ein beständiges Wirbeln und Huschen
und Fliegen, Freys Geister wandeln meist ftill oder reiten
langsam dahin. Charakteristischerweise sind Kopischs
Geister stets sogleich vorhanden in sclbstverständlicher
Realität, während sie Frey sich meist erst bilden läßt,
ausscheinen auö Lust und Dämmer und zerquirlen wie
Rauch; Kopischs Geister sind aus Fleisch und Bein, Freys
 
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