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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 4
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Jacques, Norbert: Das Piratenkastell
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0150

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Das Piratenkastell.

Heimat, die alle Menschen hier trug, wie der Strom
einen treibenden Holzbalken.

Weshalb fing ich nun an, so schmerzlich zu be-
denken, daß Hinnik Klütenbacker nur mehr halb ein
Heimatlicher war? Leise quirlte aus dem Gedanken
ein zwiespältigeS Leid in mir auf: bald gehn die Drei
weg, und dann bift du so allein hier und denkft an
das weiche, bannend dahintragende Leben in der Stadt,
zu dem nun auch der seine, prachtvolle Hinnik läuft-

Nein, nun mußte ich aber lachen. Erst die Freude
an meiner Einsamkeit, und nun —

Und ich rannte die schwere Treppe hinaus auf Deck
und wollte mir die flatterhasten Gedanken von Sturm
und Elbe krästig bannen laffen. An Deck war es tief-
finster. Kaum sah man die nahen kahlen Erlen dunkel
und eckig sich aufrecken. Aber über den Saum einer
wuchtigen Wolkenwand, zu deren Füßen heute nacht
gerade daS Piratenkastell des Lichtdunftes stand, quoll
ein goldiger Flaum, sein gezupft und gezackt, und ein
Spalt im Nachthimmel war voll der tiesdunkeln und
unendlichen Helligkeit des Mondes, der hinter dem
Wolkenland aufstieg.

Was sür ein seltsam gespanntes Erwarten bedrängte
mich, den Mond ausgehn zu sehn.

Jch kletterte eilig auf den Gigbaum, der an zwei
schweren Tauen am Großmast der Länge nach übers
Deck hing. Die Taue liesen ums Ende des Baumes und
dann schräg bis fast an den Windsack des Großmastes
hinauf; und der Gigbaum ftieß gleich an den kurzen,
dicken Besanmast- Jch klemmte meine Hüsten zwischen
die Taue und stand sicher. Der goldige Saum am
Scheitel der Wolkenbank wurde breiter, langsam; und
langsam ftieg der Mond. Aus einmal lagen Jnsel und
Elbe in seinem Licht, und ich sah, daß die Wellen
schon bis an den gelben Weg des Sommerdeiches
rollten, und daß der Wald des Rieds und der jungen
Weiden schon ganz unter dem Wasser verschwand. Die
einsame Erle im Ried schaute mit dem Kopf ihrer
Krone, hestig in den rollenden Wellen bewegt, noch
übers Wasser und rief nach einer Hilfe, die nie kam.
Die Lichter am Ufer drüben slimmerten zitternd, und
wo Blankenese lag, bebte ein sunkelndes Diadem. Jn
meinem Rücken lag unbeweglich die schwere, plumpe
Finfternis der schwarzen Regenwolken und wartete
lauernd. Der Sturm pfiff mit verzogenen Lauten in
Wanten und Bäumen. Er riß an dcn Tauen, und
leise schaukelnd fuhr ich mit ihnen hin und her. Ein
Stück elbauswärts lag ein dunkler Ewer in den Wellen.
Jch sah seine Masten im Licht des MondeS schwanken,
und die Reihe der geduckten, schwerleibig verbogenen
Weiden mit den Gestalten von gutmütig alten Elsen-
königen unserer Kindermärchen ließen die Haare ihrer
struppigen Rutenschöpfe sausend durcheinander fahren.
Der Wind entriß meiner Pfeife einen schnellen Schweif
von Funken, der in die Weiden jagte und gleich verlosch.

„Ewer, du alter, wunderbarer Kerl!" sagte ich laut,
in der Lust der tiefen Stunde erschauernd. Und ich
schrie gleich nach: „Held!" Jch warf in der Ekstase
meine Pfeife in die Nacht, hörte nicht, wohin sie fiel,
und habe auch später nichtS mehr von ihr gehört.

„Die Stürme, die dich umbuhlt haben in der grauen
Nordsee, die ein so schwereö, dunkles Blut in ihren

Gliedern hat! Ach was, du bist ein Held! Jch liebe
nichts, keine Frau und kein Kind, kein Bild und kein
Buch und keine Stadt! Nur dich und die Einsamkeit,
die du mir gibst!"

Der Wind riß meine Worte an sich, schnell, neidisch,
rasend, und wo er hinfuhr, ftand die Lichterburg der
großen Piratenstadt.

Da hörte ich Schritte an Deck. Ich drehte mich
nicht um.

Hinnik kam an mir vorüber. Er war barhaupt
und hatte die Geige in der Hand. Seine lange Ge-
stalt ließ sich auf das Helmholz nieder, knickte über
der Violine zusammen, und der Bogen strich über die
Saiten. Es war ein Lied von Grieg. Ein Tanz. Aber
die Rhythmen gingen zuerst gegen den Sturm an.
Das störte mich heftig in der schweren Harmonie, in
die mich diese Stunde eingeschlossen hatte. Aber nach
und nach begannen sie sich in den Wind zu schmiegen,
und das volkstümlich schwere Geblüt des Tanzes pochte
ein paar Augenblicke lang voll melancholischer, einsamer
Schönheit im Zug des Sturmes, wie in eigenen Adern.

Aber dann sah ich, wie Hinniks blonder Schopf
plötzlich hoch stob. Seine Augen müssen jetzt an der
Weidenreihe entlang in das dunstige Lichterkastell der
großen Stadt blicken. Hat Hinnik jetzt nicht seufzend
geknirscht? Aber der Bogen springt tanzend auf andere
Saiten und nimmt eineS von den neuen Kaffeehaus-
liedern der Stadt auS dem klingenden Violinleib. Und
es fügt sich auch in den Sturm. O, schneller, wol-
lüstiger, als das andere! Und seine Rbythmen springen
in verwirrender Nervosität. Sie bringen Sentimen-
talität, um sie gleich verspotten zu können; sie heben
kräftige Takte heraus, um sie gleich höhnisch auf die
Erde fallen zu lassen; sie geigen Sehnsucht und Liebe,
um sie gleich selber unfruchtbar und zynisch anzulächeln.

„Schweig!" knirschte ich auf. Das Lied auö der
Großftadt hatte sofort alleS in mir zerfetzt, wie die
schöne, leidenschaftlich geliebte Frau unsere wahnsinnigen
Briefe zerfetzt, wenn sie in die Arme eines andern
sinken will. Eö war Schmutz und Perversität und
Lüsternheit und Erdgestank in dem Lied. Und doch
wirbelte ich mit, jach aus meiner Einsamkeitsfreude
heraus, und sah das dunstige Piratenkaftell hinter der
mächtig einsamen Elbe stehn. Mein Blut ftrudelte, es
schoß an die Schläfe. Jch sprang vom Baum herab
und konnte es nimmer aushalten:

„Du norddeutscher Tranfisch!" schrie ich in rasendem
Schmerz, „du hast dein kaltes Blut in deinem robuften
Hohn geeist. Ruhig, du Agent der Piratenstadt, oder
ich schlag dir den Besanmaft über deine Martergeige!"

Aber in dcmselben Augenblick fuhr knallend der
Regen aus den schwarzen Westwolken. Hinnik sprang
auf und rannte in die Kojc hinab. Er lachte an mir
vorbei mit seinem lauten, ausschlagenden Humor, ein
Lachen, das voll schallenden Goldes und voll Harm-
losigkeit war.

Der Mond fiel wieder hinter die Wolken. Der
Regen rauschte gewaltsam und trommelte metallisch
aufs Deck. Jch kletterte wieder in die Koje zu den
andern.

Ob ich morgen mit ihnen wieder zur Stadt zurück-
kehre?
 
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